Europas Flüsse sind verdammt

++ Neue Studie zeigt Ausmaß des Wasserkraft-Irrsinns in ganz Europa ++ Über 8.700 neue Wasserkraftwerke geplant ++ Besonders auf dem Balkan sind die Auswirkungen auf Biodiversität und Gesellschaft verheerend ++

Europas Flüsse sind verdammt! Die Karte zeigt bestehende (schwarze Punkte) und geplante Wasserkraftwerke (rote Punkte) auf dem Kontinent. Einer der geografischen Schwerpunkte des Ausbaus der Wasserkraft: der Balkan

© Fluvius (commissioned by WWF, RiverWatch, EuroNatur, GEOTA)

Der Staudamm Jadar in Bosnien-Herzegowina: Wasserkraftwerke zerstören die Artenvielfalt der Flusslandschaften. 20-30 Fischarten dürften aussterben, sollten die in Europa geplanten Anlagen realisiert werden.

© Amel Emric

„Modernes Kleinwasserkraftwerk“ Ugar in Bosnien-Herzegowina: Bei vielen der geplanten Wasserkraftwerke handelt es sich um sogenannte Kleinwasserkraftwerke. Ihr Schaden für die Natur ist aber beträchtlich. An diesem Fluss hat der global bedrohte Huchen seinen Laichplatz verloren.

© Amel Emric

Radolfzell, Wien. Die erste europaweite Bestandsaufnahme bestehender und geplanter Wasserkraftwerke zeigt den immensen Druck, unter dem die Flüsse des gesamten Kontinents stehen. Zu den bisher schon bestehenden 21.387 Wasserkraftwerken sollen hauptsächlich in den Alpen und auf dem Balkan weitere 8.785 hinzukommen. Teils unberührte Flüsse – insbesondere auf dem Balkan – würden dadurch zerstört. Über ein Viertel dieser geplanten Kraftwerke (2.500) sind zudem in Schutzgebieten vorgesehen, der Großteil in Nationalparks und Natura 2000-Gebieten.

Die Studie wurde von den Organisationen EuroNatur, Riverwatch, WWF und GEOTA in Auftrag gegeben. Ihre Ergebnisse zeigen das Versagen der Regierungen innerhalb und außerhalb der EU, Flüsse und die biologische Vielfalt zu schützen, und belegen die offensichtliche Missachtung der EU-Wasserschutzgesetze, insbesondere der Wasserrahmenrichtlinie.

„Wir stehen vor dem Ende frei fließender Flüsse in Europa und vor einem Kollaps der Artenvielfalt, wenn wir diesen Wasserkraftwahn nicht aufhalten. Die EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen sowie die Regierungen der Länder müssen diesen Ausbau stoppen. Sie müssen vor allem die Subventionen für Wasserkraft beenden und den Schutz der Flüsse verbessern. Es ist völlig inakzeptabel, dass wir mit unserer Stromrechnung Wasserkraftinvestoren finanzieren und damit die Zerstörung von Europas Lebensadern bezahlen“, sagt Ulrich Eichelmann von Riverwatch.

„Die meisten geplanten Wasserkraftprojekte – weit mehr als 3.000 – sollen auf dem Balkan entstehen. Die Flüsse dort sind größtenteils noch intakt, manche sogar in unberührtem Zustand. Sie sind ein europäischer Schatz, den wir uns nicht leisten können, zu verlieren. Wir drängen darauf, dass die Europäische Union diese Entwicklungen im Rahmen der Beitrittsverhandlungen thematisiert und auf die Einhaltung der Naturschutzgesetze pocht. Auf dem Balkan wird zudem übermäßig viel in Wasserkraft investiert, aber das Potenzial für Solarenergie – eine wirklich erneuerbare Energiequelle – nicht genutzt“, sagt Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer von EuroNatur.

Staudämme für Wasserkraft zerstören Flüsse und ihre Umgebung und tragen erheblich zum Verlust der Artenvielfalt bei. Sie verändern den natürlichen Fluss, blockieren die Fischwanderung – was sich auf die Fischbestände und das Überleben gefährdeter Arten auswirkt – und fangen Sedimente ab, die Flussufer und Deltas vor Überschwemmungen und dem Anstieg des Meeresspiegels schützen. Der lokalen Bevölkerung wird zudem buchstäblich das Wasser abgegraben. Überdies erzeugen über 90 Prozent der geplanten Wasserkraftwerke nur geringe Mengen an Strom (weniger als 10 MW), sind also sogenannte Kleinwasserkraftwerke, die bei wenig wirtschaftlichem Nutzen große Schäden an der Natur anrichten.

Steven Weiss, Assoc. Univ.-Prof. Uni Graz, betont die verheerenden Effekte von Wasserkraft: „Auf der Grundlage meiner detaillierteren Balkanstudie sowie der Roten Liste der IUCN können wir vorhersagen, dass mindestens 20 und möglicherweise bis zu 30 Süßwasserfischarten aussterben würden, wenn alle diese Pläne ausgeführt würden. Darüber hinaus würde ein großer Prozentsatz (> 95%) der südeuropäischen Fischfauna in eine IUCN-Bedrohungskategorie eingestuft. Wir müssen verstehen, dass die ohnehin hohe Nachfrage nach Wasserressourcen, insbesondere in Südeuropa, durch eine solche großflächige Nutzung der Wasserkraft noch verstärkt wird, was zu einer tödlichen Kombination für die Artenvielfalt des Süßwassers wird.

Um dem Verlust der biologischen Vielfalt in Flüssen und Seen entgegenzuwirken, fordern wir von allen europäischen Ländern und der EU:

•    einen „Blue New Deal“ für Europas Flüsse
•    den Subventionsstopp für Wasserkraft
•    einen besseren Schutz der wertvollsten Flussabschnitte
•    ein neues europaweites Fluss-Renaturierungsprogramm

 

Hintergrundinformationen:

  • Die englische GESAMTSTUDIE sowie die ZUSAMMENFASSUNG zum Download
  • Die Kampagne „Rettet das blaue Herz Europas“ will die wertvollsten Flüsse der Balkan-Halbinsel vor einem Tsunami aus ca. 2.800 Staudammprojekten schützen. Die Kampagne wird von den NGOs Riverwatch und EuroNatur koordiniert und zusammen mit lokalen Partnerorganisationen durchgeführt.

Rückfragen:

 

 

Mitmachen und dabei sein - werden Sie aktiv

Spende

Zukunft braucht Natur. Wir setzen uns für sie ein. Bitte nutzen Sie Ihre Möglichkeiten, um zu helfen. Ihre Spende ist ein wirkungsvoller Beitrag für eine lebenswerte Umwelt.

Fördermitgliedschaft

EuroNatur setzt auf langfristig angelegte Naturschutzprojekte statt Schnellschüsse. Mit Ihren regelmäßigen Spendenbeiträgen geben Sie uns die dafür nötige Planungssicherheit.

Aktuelles

Leichtes Aufatmen bei den Krausköpfen

Die Krauskopfpelikane am Skutari-See sind erfolgreich am Brüten. Das ist umso erfreulicher, weil die Brutsaison im vergangenen Jahr desaströs verlief.

Mit Bären leben lernen

Konflikten zwischen Mensch und Wildtieren vorbeugen

Rumänische Wälder und Natura-2000-Gebiete brauchen dringend Schutz

Ein aktueller Bericht von EuroNatur und Agent Green liefert neue Erkenntnisse zu Fällungen in Rumäniens Schutzgebieten. Die Naturschutzorganisationen…

Flughafenbau bedroht albanisches Vogelparadies

++ Die Bauarbeiten für den Flughafen in der Narta-Lagune schreiten trotz erheblicher Proteste unvermindert voran ++ Rastgebiet von internationaler…

Von wegen nachhaltig: Enttäuschende Ergebnisse nach EU-Energie-Trilog

++ Holzverbrennung und Wasserkraft können weiter auf Erneuerbare-Energie-Ziele angerechnet werden ++ Kein Wille zu nachhaltiger Klimapolitik in der EU…

Riesiger Erfolg: Die Vjosa ist Nationalpark

++ Heute wurde die Vjosa in Albanien zu Europas erstem Wildfluss-Nationalpark ausgerufen ++ EuroNatur, Riverwatch und viele weitere Partner haben…

Weitere Skigebiete rund um Svydovets geplant

Im Jahr 2016 kündigte die staatliche Verwaltung der Oblast Transkarpatien ihre Pläne zum Bau eines gleichnamigen Skigebiets im Bergmassiv Svydovets…

Bleischrotverbot in Feuchtgebieten in Kraft getreten

Gute Nachricht für Europas Wasservögel: Die Verwendung von Bleischrotmunition bei der Jagd in Feuchtgebieten ist endlich verboten. Am 15. Februar 2023…

Keine Sorge vor dem Wolf

Erstmals seit mehr als 100 Jahren wurde im Schwarzwald eine Wölfin nachgewiesen. Da bereits zwei männliche Wölfe in der Region leben, könnte es bald…

Flamingos oder Flugzeuge: Proteste gegen Flughafen in Albanien

++ Weltfeuchtgebietstag lenkt Aufmerksamkeit auf globale Zerstörung von Flüssen, Seen, Mooren und Küsten ++ Große Protestaktion in Albanien gegen…

Schwaderer in Steinmeiers Delegation

Große Ehre für Gabriel Schwaderer: Der EuroNatur-Geschäftsführer war bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiers Staatsbesuch in Albanien und…

Vjosa-Wildfluss-Nationalpark: Expertenteam legt Machbarkeitsstudie vor

Die Vjosa, einer der letzten großen Wildflüsse Europas, ist ihrer Unterschutzstellung heute einen großen Schritt nähergekommen. Das Projektteam aus…

Rechtliche Schritte gegen den Vlora-Flughafen in Albanien

Neue Entwicklungen zum geplanten Flughafenbau in der Narta-Lagune: Die von unseren Partnern eingereichte Klage gegen das Projekt wurde in erster…

Düstere Aussichten für Svydovets

Im ukrainischen Bergmassiv Svydovets soll ein gigantisches Skiresort entstehen. Gegen diese Pläne hat die Umweltbewegung Free Svydovets geklagt. Nun…

Jahresrückblick 2022

Ukraine-Krieg und Energiekrise, Vogelgrippe und Fischsterben, dazu noch immer die Corona-Pandemie und ihre Folgen. 2022 war ein kompliziertes Jahr,…