Urwälder wachsen nicht nur am Amazonas oder auf den Inseln Indonesiens, auch in Europa gibt es sie noch. Vor 6.000 Jahren war Europa von großen, wilden Wäldern bedeckt: Nadelwälder in den Höhen und im Norden, Buchenwälder im Flach- und Hügelland. Zwar wurden die letzten großen Urwaldflächen Mitteleuropas in den vergangenen 300 Jahren systematisch beseitigt und durch “geordnete”, auf maximalen Holzertrag ausgerichtete Forste ersetzt. Doch vor allem in den Karpaten und auf dem westlichen Balkan haben große Flächen ursprünglicher Waldgebiete überdauert – ein globales Naturerbe von unschätzbarem ökologischem Wert.
Diese letzten zusammenhängenden Ur- und Naturwälder Europas (außerhalb Skandinaviens) schwinden jedoch dahin. Profitgier, politische Ignoranz und Korruption im großen Stil bedrohen diese Wälder, die über Jahrhunderte und Jahrtausende gewachsen sind. Wenn sie abgeholzt werden, würden unzählige seltene Pflanzen und Tiere ihre Heimat verlieren. Zudem würde der Kampf gegen die Klimakrise einen erheblichen Rückschlag erleiden.
Als Urwälder werden Waldökosysteme bezeichnet, die niemals durch menschliche Eingriffe verändert wurden. Sie haben seit ihrem Entstehen (nach der letzten Eiszeit) eine ununterbrochene, natürliche Entwicklung durchlaufen. Urwälder sind ursprüngliche, standortgerechte Waldgesellschaften, die ohne das Zutun des Menschen entstanden sind und in denen natürliche Prozesse unbeeinflusst von menschlichen Nutzungen ablaufen. In ihnen kommen sämtliche Waldentwicklungsstadien wie Jungwuchs, Dickungs-, Alters- und Zusammenbruchsphase nebeneinander und miteinander verzahnt vor. Die Bäume sind daher unterschiedlich alt (manche leben hier schon seit mehr als 500 Jahren), stehen nicht in Reih und Glied und dürfen von alleine sterben. Meist sind große Mengen an stehendem und liegendem Totholz zu finden. Der Artenreichtum ist enorm: Viele ”Urwald-Arten“ wie seltene Käfer, Vögel, Pilze, Flechten oder Bodenorganismen haben hier ihre letzten Überlebensinseln, weil sie in intensiv genutzten und “ausgeräumten” Wirtschaftswäldern weder Wohnorte noch Nahrung finden. Auch der Formenreichtum ist eindrucksvoll: monumentale Altbäume, bizarre Baumleichen, knorrige Baumgestalten, märchenhafte Moosgebilde.
Wälder verbinden den Himmel und den Boden. Sie bestehen nicht nur aus den sichtbaren, oberirdischen Bäumen, sondern auch aus den weit verzweigten Wurzeln und dem vielfältigen Bodenleben. Wälder sind komplexe Netzwerke, an denen vor allem Bäume mit ihren Wurzeln sowie Pilze beteiligt sind. In Ur- und Naturwäldern leben die Bäume in Symbiosen mit Pilzen, den sogenannten Mykorrhizapilzen. Sie liefern Nährsalze und Wasser und erhalten im Gegenzug von den Bäumen Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphate. Die Pilze tragen so zur Gesundheit eines Waldes bei. Wenn sie fehlen, etwa nach Kahlschlägen, schwächt das die Bäume.
Manche Forscher gegen davon aus, dass die Wurzeln für Bäumen eine Art Gehirn bzw. Nervensystem sein könnten. Über die Wurzelgeflechte und Pilzfäden werden Nachrichten, wie etwa Warnungen vor Borkenkäfern, schnell verbreitet. Daher rührt der Begriff des „Wood Wide Web“. Bäume tauschen Informationen durch Gerüche, optische und elektrische Reize aus. In Urwäldern ist dieses faszinierende, evolutionär entstandene System intakt.
Warum sind intakte Wälder für das Klima so wichtig?
Urwälder speichern in Bäumen und Böden viel mehr Kohlenstoff als die viel jüngeren Wirtschaftswälder. Werden sie abgeholzt, dann wird CO2 freigesetzt – besonders auch aus den Böden. Diese Emissionen beschleunigen den Klimawandel. In PR-Kampagnen behauptet die Forstindustrie jedoch, dass nur bewirtschaftete Wälder zum Klimaschutz beitragen würden. In Urwäldern würden sich Aufnahme und Abgabe von CO2 die Waage halten. Dies stimmt jedoch nicht!
Urwälder nehmen kontinuierlich CO2 auf, auch im hohen Alter. Dieser Prozess dauert an. Endlos. Wird der Kohlenstoff aus diesen Wäldern durch Abholzung und durch Verbrennung von Energieholz freigesetzt, dann trägt das massiv zum Klimawandel bei. Die Bewahrung von Ur- und Naturwäldern ist daher nicht für die Erhaltung unserer Artenvielfalt wichtig, sondern auch um das Weltklima zu stabilisieren!
Wir schützen Urwälder in Europa
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Aufmerksamkeit schaffen: Viele Menschen in Europa wussten lange Zeit nicht, dass es auf unserem Kontinent noch echte Waldwildnis gibt – und wie dramatisch es um die letzten Ur- und Naturwälder bestellt ist. Wir haben es durch unsere Öffentlichkeitsarbeit geschafft, das Naturschutzdrama in nationalen und internationalen Medien zu platzieren und gemeinsam mit unseren Partnern die Missstände in der Region aufzudecken.
Lobbyarbeit in Brüssel: Dank unserer Lobbyarbeit konnten wir das Thema Urwaldschutz auf dem Balkan auf die Agenda der Politikerinnen und Abgeordneten in den EU-Gremien setzen. Wir haben mehrere Beschwerden bei der Europäischen Kommission eingereicht, woraufhin die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die rumänische Regierung eingeleitet hat. Allerdings wurde der Fall bis heute nicht an den Europäischen Gerichtshof übergeben.
Waldexperten und -expertinnen überprüfen die Satellitendaten durch Stichproben vor Ort. Manchmal kommen dabei auch Drohnen zum Einsatz.
Neuland betreten: Satellitentechnologie, künstliche Intelligenz und menschliche Erfahrung – die perfekte Mischung, um die letzten wilden Wälder des Weltbalkans zu retten? Gemeinsam mit Naturschutzpartnern in sieben Balkanländern sowie den Expertinnen und Experten für Fernerkundung von Space4Good haben wir uns auf dieses Terrain begeben, um mit Hilfe modernster Technik eine lückenlose Kartierung der Ur- und Naturwälder des Westbalkans zu erstellen. Im nächsten Schritt wird es darum gehen, die Ausweisung neuer Schutzgebiete zu erreichen.
Menschen für die Urwälder mobilisieren: Ob in den Wäldern der Karpaten, den Straßen Bukarests oder vor dem Europäischen Parlament: Gemeinsam mit unseren Partnern im Urwaldschutz organisieren wir Demonstrationen, Events oder Petitionen gegen die Holzeinschläge oder Straßenbaupläne in den Ur- und Naturwäldern der Karpaten und des Balkans. Auch aufgrund der massiven Proteste wurde etwa der geplante Ausbau einer kleinen Forststraße zur mehrspurigen Schnellstraße durch den Domogled-Nationalpark oder das monströse Skigebiet Svydovets im Südwesten der Ukraine verhindert.
Nur ein kleiner Teil der Waldfläche in Europa ist noch in einem Urzustand. Ich bin überzeugt davon, dass die EU es sich leisten kann, mindestens zehn Prozent ihrer Waldfläche, einschließlich aller verbleibenden Ur- und Naturwälder, zu erhalten.
Matthias Schickhofer, Campaigner, Autor und Fotograf
Holztransporter stoppen, Demos organisieren, Überzeugungsarbeit leisten: Urwaldschutz in Europa ist vielseitig
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