Wissenschaftler aus ganz Europa stellen sich gegen den Bau eines Wasserkraftwerks in Montenegros Komarnica-Schlucht

++ Verzögerte Umweltprüfung und Entscheidungsfindung geben Anlass zu ernster Besorgnis in Bezug auf Transparenz und politische Kontrolle ++ Verfahrenstechnisches Versagen und juristische Kniffe untergraben das öffentliche Vertrauen in Montenegros Umweltverpflichtungen ++

Der unberührte Fluss Komarnica, der sich durch die abgeschiedene Komarnica-Schlucht windet.

Die unberührte Komarnica schlängelt sich durch die abgelegene Komarnica-Schlucht.

© Riders.me
Diese versteinerten Quellen, die den Fluss Komarnica speisen, fließen über Tuffsteinformationen, einem seltenen prioritären Natura-2000-Lebensraum.

Diese Quelle, die den Fluss Komarnica speist, fließt über Tuffsteinformationen, einem wertvollen Natura 2000-Lebensraum.

© Montenegrin Ecologists Society (CDE-MES)
Protestaktion während der öffentlichen Debatte über das Wasserkraftwerksprojekt an der Komarnica in Podgorica mit Plakaten mit den Aufschriften „Wir zerstören die Natur nicht für 1 % Strom“, „Einen Fluss zu töten ist keine Entwicklung“ und „Wasser ist Leben, nicht Profit“.

Protestaktion während der öffentlichen Debatte über das Wasserkraftwerksprojekt Komarnica in Podgorica. Auf den Plakaten steht unter anderem: „Wir zerstören die Natur nicht für 1 % Strom“, „Einen Fluss zu töten ist keine Entwicklung“ und „Wasser ist Leben, nicht Profit“.

© Montenegrin Ecologists Society (CDE-MES)

Podgorica, Radolfzell. Ein Zusammenschluss von über 200 internationalen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Recht, Energie und Ökologie – zusammen mit mehr als 20 nationalen NGOs – fordert die Regierung Montenegros dazu auf, die Pläne zum Bau des „Komarnica“-Wasserkraftwerks in der gleichnamigen Schlucht mit sofortiger Wirkung zu stoppen. In einem offenen Brief an die nationalen Behörden verlangen die Unterzeichnenden die Streichung des kontroversen Projekts und weisen auf irreversible Umweltschäden, politische Einflussnahme und die Nichteinhaltung gesetzlicher Verpflichtungen hin.

Trotz überwältigender ökologischer Bedenken und des Einspruchs von Sachverständigen ist die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für das Komarnica-Wasserkraftprojekt bislang von ernsthaften Unregelmäßigkeiten geprägt. Nach der Überarbeitungsfrist, die 855 Tage dauerte, wurde der UVP-Bericht im Februar 2025 erneut eingereicht, mehrere Monate zu spät und immer noch mit erheblichen Mängeln behaftet. Diese Probleme bestärken die Zivilgesellschaft in ihrer Meinung, dass der Bericht vollständig abzulehnen ist. Die Umweltschutzbehörde Montenegros (USB) muss aber noch eine offizielle Entscheidung fällen. Die Verzögerung gibt Anlass zur Sorge, dass politischer Druck von Seiten des Projektentwicklers das transparente, wissenschaftsbasierte Verfahren gefährden könnte – und wirft damit ernsthafte Fragen in den Bereichen Rechenschaftspflicht und politische Kontrolle auf.

„Wir warten auf die endgültige Entscheidung der USB und verlangen volle Rechenschaft von allen verantwortlichen Beteiligten“, sagt Adrijana Mićanović, Generalsekretärin der Montenegrinischen Gesellschaft für Ökologie. „Eine Genehmigung dieses Projekts würde nicht nur einen Nationalschatz zerstören, sondern auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in umweltpolitische Entscheidungen noch weiter aushöhlen.“
Trotz weit verbreiter Bedenken von Expertinnen, Experten und der Zivilgesellschaft scheint die Regierung Montenegros entschlossen, das Projekt voranzutreiben. Dabei sind bislang keine ordnungsgemäßen Kosten-Nutzen-, Energie- oder Gemeinwohl-Analysen veröffentlicht worden. Unabhängige Gutachten zeigen, dass die Baukosten sich seit 2012 nahezu verdoppelt haben und auf 343 Millionen Euro explodiert sind, während der Beitrag zu Montenegros Gesamtenergiebedarf nur 2 % beträgt. Spezialistinnen und Spezialisten sagen, dass es tragfähige Alternativen gibt, zum Beispiel Hybridenergie aus Sonne und Wind, die größere Erträge liefern könnte, ohne dafür Ökosysteme zu opfern.
Der Ruf, Komarnica zu stoppen, kommt zu einer Zeit, in der die Zivilgesellschaft überall in Montenegro zunehmend alarmiert ist von  jüngsten politischen Schritten, die Mega-Infrastrukturinvestitionen von internationalen Akteuren unter Umgehung gesetzlicher Umweltvorschriften ermöglichen. Auch die Europäische Kommission hat ernsthafte Bedenken geäußert, wie das montenegrinische Parlament den Weg dafür frei gemacht hat, den zwölf Kilometer langen Strand Velika plaža zu erschließen – eine unberührte Perle der Natur.

„Während Montenegro den Weg zum EU-Beitritt weitergeht, müssen die Wahrung des Umweltrechts, die Sicherstellung transparenter Verfahren und der Schutz des Naturerbes unverhandelbar bleiben“, sagt Dr. Amelie Huber, Projektleiterin Fließgewässerschutz bei EuroNatur.

Hintergrundinformationen

  • Die Komarnica-Schlucht, durch die einer der letzten Wildflüsse Montenegros fließt, ist anerkannter Kandidat für die Schutzgebietsnetze EU Natura 2000 und das Smaragd-Netzwerk. Auf nationaler Ebene ist sie bereits als Naturpark und Naturdenkmal geschützt. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Biodiversität und unberührten Schönheit haben UNESCO-Expertinnen und -Experten außerdem ihre Aufnahme in den Durmitor-Nationalpark vorgeschlagen.
  • Die von EuroNatur und der Montenegrinischen Gesellschaft für Ökologie unterstützte „Save Komarnica“-Initiative drängt die Regierung dazu, den Komarnica-Staudamm abzulehnen und wirklich nachhaltige, wissenschaftsbasierte Lösungen zu priorisieren.
  • Die Kampage „Save the Blue Heart of Europe“ wird von EuroNatur und Riverwatch koordiniert, einer deutschen und einer österreichischen NGO, in Partnerschaft mit Organisationen aus Balkanländern. Die Kampagne hat zum Ziel, die kostbaren Flüsse der Region zu schützen, die von über 3.500 Wasserkraftprojekten bedroht sind. Sie richtet sich zum Beispiel gegen große Staudammprojekte, die unter dem Deckmantel „grüner Energiegewinnung“ verwirklicht werden.
  • Die Montenegrinische Gesellschaft für Ökologie hat Umwelt-, Rechts- und Energieanalysen durchgeführt, aktiv lokale Gemeinschaften und internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingebunden und Kampagnen organisiert, um die Komarnica vor dem Bau von Wasserkraftwerken zu schützen. Sie hat außerdem UVP-Verfahren beobachtet und kann alle relevanten Informationen zur Verfügung stellen.

Pressekontakt:
Andrijana Mićanović, ana.micanovic11(at)gmail.com, +382 69 883 485, Generalsekretärin, Montenegrinische Gesellschaft für Ökologie
Anika Konsek, anika.konsek(at)euronatur.org, Projekt-Kommunikationsmanagerin, EuroNatur

 

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