Grünblaue Wunderwelten

Die Komarnica im Norden Montenegros gehört zum Blauen Herz Europas. Eine Talsperre droht, dieses Stück Wildnis zu zerstören. Zwei junge Frauen, die mittlerweile ein größeres Netzwerk mobilisiert haben, stellen sich gegen die Wasserkraftlobby und kämpfen für ihren Fluss.

Wildfluss mit Paddlern Wildfluss mit Paddlern
© Montenegrinische Gesellschaft für Ökologie

 

„Um die Komarnica-Schlucht herum ist das Land flach und es gibt wunderschöne Dörfer. Mittendrin öffnet sich unvermittelt dieser Canyon und du tauchst in eine absolute Wildnis ein. Es gibt nur wenige, sehr steile Pfade. Sie führen durch Buchenurwälder bergab in eine andere Welt, wo dich eine überwältigende Vielfalt aus Tier- und Pflanzenarten erwartet. Einige davon gibt es nirgendwo sonst.“ Wenn die montenegrinischen Aktivistinnen Jelena Popović und Andrijana Mikanović von der Komarnica sprechen, wird klar, woher sie die Energie nehmen, um für diesen Fluss zu kämpfen. Sie lieben die Wildnis, sie lieben die Natur. Bereits kurz nach ihrem Studienabschluss haben die beiden Biologinnen eine Naturschutzinitiative ins Leben gerufen. Derzeit erleben sie wie „Save Komarnica“ („Rettet die Komarnica“) immer mehr an Schwung gewinnt.

„Die Komarnica ist ein fantastischer Ort“

kleiner Wasserfall

Ein Wunder aus grünen und blauen Wassertönen: Wasserfall an der Komarnica

© Solutions4you
junge Frau vor nebeligem Hintergrund

Jelena Popović...

© Radonja Srdanović
junge Frau im Gebirge

... und ihre Mitstreiterin Andrijana Mićanović lieben es, in der Natur zu sein.

© Vuk Iković

Vielleicht ist es die Liebe zu ihrer Großmutter, die Jelena Popović zur Flussschützerin werden ließ. Auf jeden Fall ist Jela Tadić stolz auf ihre Enkelin. Zusammen mit Andrijana Micanović hat sie eine Initiative ins Leben gerufen, die in Montenegro längst zu einer Marke geworden ist. Immer mehr Menschen wollen Teil der Bewegung „Rettet die Komarnica“ sein. Wäre die Großmutter noch ein paar Jahre jünger, würde sie sicherlich auch mitmachen. Jela Tadić hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, durch ein Wasserkraftprojekt die Heimat zu verlieren. Sie lebte im alten Dorf Plužine an den Ufern der Piva, als die montenegrinische Regierung in den 1970er Jahren eine Talsperre errichten ließ. Jelas Welt ertrank damals in einem Stausee, ihr gesamtes Dorf wurde umgesiedelt. Durch den Bau des Wasserkraftwerks wurde der Fluss zur Ursache eines Schmerzes, den die 88-Jährige bis heute nicht verwunden hat. „Wir lebten im Paradies“, erzählt sie Jelena oft. „In der Piva haben wir Fische gefangen, mit ihrem Wasser löschten wir unseren Durst und bewässerten unsere Felder.“ Deshalb fragt die Großmutter auch bei jedem Besuch: „Jelena, hast du die Komarnica schon gerettet?“. Auch dieser Fluss soll nun aufgestaut werden, keine 50 Kilometer stromaufwärts, wo sich damals das Drama an der Piva ereignete.   

Am Anfang waren wir ganz allein

Wenn Jelena Popović und Andrjana Micanović von ihrer Initiative erzählen, wird schnell klar, dass es ihnen um mehr geht als um einen einzigen Fluss. Es geht ihnen um den Stellenwert der Natur in Montenegro an sich. Jelenas Stimme ist zart, doch die junge Frau geht den steinigen Weg einer Umweltaktivistin in Montenegro mit Entschlossenheit. „Andrijana und mich berührt die Geschichte um die Komarnica sehr, weil wir Biologinnen sind und dieser Fluss aus ökologischer Sicht ein fantastischer Ort ist. Schon in der Zeit kurz nach unserem Schulabschluss begann ein regelrechter Boom in Sachen Naturzerstörung, der bis heute anhält. Als wir von dem geplanten Staudamm an der Komarnica erfahren haben gab es niemanden, der für diesen Fluss gekämpft hätte. Da haben wir ,Save Komarnica‘ gestartet. Am Anfang waren wir allein – wir beide und noch eine weitere Biologin. Mittlerweile ist das zum Glück anders“, sagt die heute 30-Jährige.

Die Staudammpläne waren nichts Neues, sondern stammten bereits aus den 1970er Jahren. Jahrzehnte später zog die montenegrinische Regierung diese Pläne wieder aus der Schublade. Andrijana und Jelena mobilisierten im Jahr 2019 die Montenegrinische Gesellschaft für Ökologie - bei der sie beide heute angestellt sind - und zwei weitere nationale Nichtregierungsorganisationen (KOD und die Gesellschaft junger Ökologen aus Nikšić). Gemeinsam reichten sie beim Sekretariat der Berner Konvention eine Beschwerde gegen das Wasserkraftprojekt an der Komarnica ein.

  • Komarnica – ein schützenswerter Fluss

    Eine Gruppe von Paddlern fährt mit ihren Kajaks auf der Komarnica durch eine Klamm.
    © Solutions4you

    Die Komarnica steht eigentlich unter Naturschutz. Sie wurde auf nationaler Ebene als Naturpark sowie als Naturmonument ausgewiesen und von der Berner Konvention als Emerald-Gebiet (englisch für „Smaragd“) nominiert. Die Berner Konvention ist eines der wichtigsten Naturschutzabkommen zum Schutz der Biodiversität in Europa. Smaragdgebiete tragen in besonderem Maße dazu bei, die europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere sowie ihre natürlichen Lebensräume zu erhalten. Zudem haben die UNESCO und die Weltnaturschutzunion IUCN vorgeschlagen, das Komarnica-Tal in die Welterbestätte des Durmitor Nationalparks aufzunehmen. Dennoch plant die montenegrinische Regierung an der Komarnica eine riesige Talsperre zur Energiegewinnung. Ein über 170 Meter hoher Damm soll den Fluss aufstauen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach EU-Standards fehlt bislang. Die Bewegung „Save Komarnica“ setzt sich für den Schutz dieses wertvollen Flusses ein. Neben Jelena Popović und Andrijana Mikanović engagieren sich mittlerweile viele weitere Menschen in der Initiative. Im Kernteam aktiv sind Vertreterinnen der Montenegrinischen Gesellschaft für Ökologie, der Organisationen KOD und Nature Lovers sowie ein Einwohner der Gemeinde Šavnik.

Niemand wusste von dem Projekt

Montenegro hat in seiner Verfassung festgeschrieben, „ein ökologischer Staat“ zu sein. Wie passt es zu diesem Motto, dass die letzten wilden Flüsse des Landes für die Energieerzeugung geopfert werden? Gar nicht! Sagen Jelena Popović und Andrijana Mikanovic. Deshalb sorgen sie dafür, dass so viele Menschen wie möglich von dem fragwürdigen Wasserkraftprojekt Komarnica erfahren. Schließlich sei der Fluss kein Eigentum der Bürger von Šavnik und Plužine, sondern ein Naturschatz, dessen Schicksal alle angehe. Ende März 2022 organisierten sie eine Informationsveranstaltung mitten in der Hauptstadt Podgorica und gewannen so Unterstützer für ihre Bewegung. „Das Interesse der Leute war groß, alle Plätze waren besetzt“, berichtet Andrijana.

Protestcamp sorgt für positive Energie

Dass es bei der Initiative „Save Komarnica“ um eine Entwicklung der Region in Harmonie mit der Natur geht, machten Jelena, Andrijana und ihre Mitstreitenden Anfang Mai klar. Bereits zum zweiten Mal fand ein Protestcamp an der Komarnica statt. Anders als im Vorjahr kamen die Teilnehmenden nicht nur aus Montenegro, sondern aus insgesamt 17 Ländern, darunter aus Deutschland, Polen, den Niederlanden, aus vielen Balkanstaaten, und sogar aus den USA. Insgesamt versammelten sich über 400 Flussliebhaber, Naturschützerinnen, Künstler, Wissenschaftlerinnen, Kayaker, Kletterer und andere Interessierte an der Komarnica. Sie erforschten und erkundeten die reiche Artenvielfalt des Komarnica-Canyons, erlebten die Flusslandschaft vom Boot aus oder nahmen an Fototouren und Workshops zu nachhaltiger Landwirtschaft in der Region teil. „Es kamen eine Menge Aktivisten anderer Initiativen zu unserem Protestcamp, um uns zu unterstützen. Umgekehrt haben wir ihnen die Gelegenheit gegeben, ihre Themen zu präsentieren. Wir haben unsere Erfahrungen ausgetauscht, uns Mut zugesprochen und uns gegenseitig bestärkt“, beschreibt Andrijana. „Es tut gut zu spüren, dass wir nicht mehr allein sind“, sagt sie.

junge Umweltschützer vor Gebirgslandschaft

Am Eingang des Naturparks Komarnica genießen Teilnehmende des Protestcamps die inspirierende Gemeinschaft. Menschen aus insgesamt 17 Ländern kamen zusammen, geeint durch eine Vision: Die Komarnica soll weiterhin frei fließen.

© Solutions4you

Und wie haben die lokalen Anwohner auf das Protestcamp reagiert? „Unglückerweise sind viele Anwohner für den Staudamm. Sie glauben den Vertretern staatlicher Unternehmen, die ihnen Jobs versprechen und neue Straßen. Mit dem Protestcamp wollten wir ihnen zeigen, wie wertvoll der Fluss für sie ist, solange er frei fließen darf, und wie viel sie durch den Staudamm verlieren würden. Von überall auf der Welt kamen Menschen, um die Komarnica zu erleben. Wir haben der Lokalbevölkerung gezeigt, wie sich damit Einkommen erzielen lässt. Die Teilnehmenden des Camps waren bei lokalen Gastgebern untergebracht und wurden mit Lebensmitteln aus regionaler Produktion versorgt“, sagt Jelena.

mehrere Musiker auf der Bühne

Nach dem Konzert von Darko Rundek und seiner Band stürmten Menschen aus dem Publikum auf die Bühne und riefen mit dem Sänger gemeinsam: "Rettet die Komarnica."

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junge Flussschützerinnen hinter der Bühne

Die jungen Frauen des Kampagnenteams freuen sich, dass so viele Menschen zu dem Konzert für die Komarnica gekommen sind.

© Solutions4you
Applaus für die Komarnica

Das Protestcamp endete mit einem Paukenschlag. „Ich war anfangs skeptisch, ob wir Geld investieren sollen, um ein Konzert zu organisieren. Aber als es so weit war, wusste ich sofort, dass diese Entscheidung richtig war“, erinnert sich Andrijana. Der in Montenegro und in anderen Balkanstaaten beliebte und bekannte Musiker Darko Rundek trat mit seiner Band in Šavnik auf, einem der Orte, die von der Komarnica-Talsperre massiv betroffen wären. Seit Jahren unterstützt er die Kampagne „Rettet das Blaue Herz Europas“ und macht mit seinen Konzerten auf die Schönheit und die Bedrohung der frei fließenden Flüsse auf dem Balkan aufmerksam. „Darko Rundek spielte auf dem zentralen Platz von Šavnik, eingerahmt von der Komarnica und der Bukovica. Die Atmosphäre war fabelhaft und die positive Energie förmlich greifbar“, berichtet Jelena. „Die Einheimischen waren ebenso überrascht wie begeistert. Sie haben das erste Mal erlebt, wie ihre Stadt Scharen von Besuchern anlockte. Als wir davon sprachen, dass wir die Komarnica retten wollen, hat das Publikum applaudiert. Es gab noch Tage nach dem Camp viel mediale Aufmerksamkeit.“

Naturschützerinnen und Naturschützer aus ganz Montenegro kamen zusammen. Wir tanzten und sangen für all die Naturgebiete, denen wir unsere Stimme geben.

Jelena Popovic steht vor dem Zeltlager und hält ein Schild.
Jelena Popović, Save Komarnica
Wende im Fall Komarnica?

Kurz nach dem Konzert kam dann die Überraschung: Die Ministerin für Ökologie, Raumplanung und Städtebau, Ana Novaković Đurović, verkündete, dass der Staudamm NICHT gebaut werden soll. Allerdings trauen die beiden Flussschützerinnen den Aussagen montenegrinischer Politikerinnen und Politiker nicht mehr über den Weg. „Bevor wir nichts Schriftliches haben, werden wir weiter für die Komarnica kämpfen. Das Gleiche hat diese Ministerin vor einem Jahr schon einmal behauptet. Ein paar Tage später wurde die Konzession für den Komarnica-Staudamm erteilt. Aber was nicht zu unterschätzen ist: Der Staudamm und seine Bedrohung für Menschen und Natur sind zum Thema öffentlicher Diskussionen geworden.“ Wenn die Großmutter heute fragt „Jelena, hast du die Komarnica schon gerettet?“, bekommt sie deshalb zur Antwort: „Noch nicht, Großmutter, aber wir sind nicht mehr allein! Die Geschichte der Komarnica ist eine gute Geschichte.“
 

Die Autorin dieses Beitrags, Katharina Grund, war nach dem Interview mit Jelena Popović und Andrijana Mikanović begeistert von der Tatkraft der beiden jungen Biologinnen. Sie kann sich gut vorstellen, wie die Aktivistinnen aus Montenegro die Menschen um sich herum für den Schutz der Komarnica inspirieren können.

  • Skavica – die gleiche Katastrophe

    Blick von oben auf eine Flusslandschaft mit Feldern, Wiesen, Wäldern und Bergen.
    © Andrey Ralev

    Im Rahmen der Kampagne „Rettet das Blaue Herz Europas“ setzt sich EuroNatur gemeinsam mit Riverwatch aus Österreich und Partnern vor Ort für den Schutz der frei fließenden Flüsse auf dem Balkan ein. Ein Schwerpunkt ist der Kampf gegen umstrittene Großstaudammprojekte, die unter dem Deckmantel der grünen Energiegewinnung durchgeführt werden. Dazu gehört neben der Komarnica-Talsperre auch das Wasserkraftwerk „Skavica“ im Nordosten Albaniens, das mit Unterstützung des US-Infrastrukturgiganten Bechtel gebaut werden soll. Durch das Projekt würde der letzte freifließende Teil des Schwarzen Drin zu einem der, laut Medien, größten Stauseen Europas aufgestaut. Verloren ginge nicht nur eine außerordentliche Artenvielfalt, sondern auch ein Großteil der geschichtsträchtigen Region Dibra - ein fruchtbares Tal, das sich als Zentrum für Ökotourismus und biologische Landwirtschaft profiliert hat. Mit Unterstützung von EuroNatur haben die Nichtregierungsorganisationen Association of Black Drin und Albanian Helsinki Committee eine Verfassungsklage gegen das Vorhaben eingereicht. Das Gericht hat die Klage angenommen.  

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