Rumänien: Neue Analyse enthüllt riesigen bedrohten Natur- und Urwaldschatz

EuroNatur und Agent Green: Europa muss die Waldzerstörung in Rumänien stoppen

Urwald mit Herbstlaub

"Indian Summer" in Rumäniens Paradieswäldern

© Matthias Schickhofer/EuroNatur

Mit schwerem Gerät werden die Bäume aus den Urwäldern gezogen (wie hier in Domogled). Zurück bleiben degradierte Flächen.

© Matthias Schickhofer

Bukarest, Radolfzell. Während Europa über die Waldzerstörung im Amazonasgebiet schockiert ist, verschwinden die größten Naturwälder Mitteleuropas in Rumänien aufgrund massiver und außer Kontrolle geratener Abholzungen. Die EuroNatur Stiftung legt nun eine umfassende Bestandsaufnahme der wertvollen Waldbestände Rumäniens vor: PRIMOFARO (PRIMary and Old growth Forest Areas of ROmania). Die Ergebnisse sind vielversprechend - und alarmierend zugleich: Rumänien beherbergt immer noch mehr als 525.000 Hektar an Natur- und Urwäldern - mehr als jeder andere EU-Mitgliedsstaat (außerhalb Skandinaviens). Die Analyse zeigt aber auch, dass die Waldzerstörung schnell voranschreitet.

Zumindest auf dem Papier sind zwei Drittel - mehr als 330.000 Hektar - der rumänischen Natur und Urwälder geschützt, denn sie sind bereits Teil des EU-Natura-2000-Netzwerks (das beinhaltet auch alle Nationalparks). Die meisten dieser Wälder sind trotzdem nicht wirksam geschützt. Nur 6 Prozent der potenziellen Ur- und Naturwälder sind bisher im rumänischen „Nationalen Katalog der Urwälder“ gelistet. Dieses Programm gewährt nur jenen Wäldern Schutz, die engste Urwald-Kriterien erfüllen. Andere natürliche Wälder bleiben schutzlos. Infolgedessen sind Abholzungen auch in Natura 2000-Gebieten und Nationalparks allgegenwärtig. PRIMOFARO zeigt außerdem, dass fast 50 Prozent der Urwälder Rumäniens, die im Jahr 2005 im Rahmen einer umfassenden Urwald-Inventur identifiziert wurden, inzwischen abgeholzt oder degradiert wurden.

„Wir haben versucht, sämtliche Wälder mit herausragender Bedeutung für die biologische Vielfalt und für den Klimaschutz zu identifizieren. Dabei haben wir auch wertvolle Naturwälder kartiert, die über die enge Definition von Urwald hinausgehen. 8 Prozent der rumänischen Wälder sind noch in einem sehr natürlichen Zustand. Sie sind gewissermaßen das europäische Äquivalent des Amazonas-Waldes. Daher verdienen sie einen umfassenden Schutz“, betont PRIMOFARO-Mitautor Matthias Schickhofer.

„Europa muss zusammenarbeiten, um das außerordentliche Naturerbe Rumäniens zu bewahren. Wir erwarten, dass Rumänien EU-Recht respektiert und die Natura 2000-Gesetzgebung uneingeschränkt umsetzt: Natura 2000-geschützte Naturwälder auf Staatsgrund müssen sofort durch Maßnahmen der Regierung geschützt werden. Für private Natur- und Urwaldgebiete sind finanzielle Entschädigungen, die auch durch die EU gefördert werden müssen, unabdingbar“, sagt Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer der EuroNatur Stiftung.

„Während die rumänische Regierung Experten und Naturschützer mit bürokratischen Schikanen in Verbindung mit dem ‚Nationalen Katalog der Urwälder‘ beschäftigte, wurden zehntausende Hektar Naturwald in Natura 2000-Gebieten und Nationalparks zerstört. Die EU-Gesetzgebung verpflichtet uns aber, alle Wälder in gutem Erhaltungszustand zu schützen - und nicht nur einige kleine Urwald-Museen“, erklärt Gabriel Paun, Präsident von Agent Green.

Die EuroNatur Stiftung und Agent Green fordern die Europäische Union und Rumänien auf, dringend Maßnahmen zu ergreifen, um dieses „europäische Äquivalent des Amazonas-Waldes“ zu retten und sicherzustellen, dass die Natura 2000-Gesetzgebung in Rumänien durchgesetzt wird. Erst am 10. September 2019 haben EuroNatur, Agent Green und Client Earth eine EU-Beschwerde über systematische Verstöße des rumänischen Staates gegen EU-Rechtsvorschriften im Forstsektor eingereicht.

 

Hintergrundinformationen:

Der Link zur Studie: www.euronatur.org/fileadmin/docs/Urwald-Kampagne_Rumaenien/PRIMOFARO_24092019_layouted.pdf

Die Ergebnisse des PRIMOFARO-Inventars:

- Die digitale Karte von PRIMOFARO zeigt den größten Naturwaldschatz (Ur- und Naturwälder) in der EU außerhalb Skandinaviens: 525.632 Hektar an unberührten oder sehr naturnahen Wäldern, die viele streng geschützte Arten beherbergen.

- 332.844 Hektar (63 Prozent) des PRIMOFARO-Inventars befinden sich in Natura-2000-Gebieten. 81.716 Hektar davon stehen zusätzlich als Nationalpark unter Schutz. Auch in diesen Schutzgebieten sind Naturwälder nicht sicher vor Abholzungen.

- Allerdings sind nur noch 116.589 Hektar (oder 55 Prozent) der Flächen, die 2005 im Rahmen der sogenannten Pin Matra-Urwald-Inventur identifiziert wurden, noch in einem intakten Zustand.

Methodik von PRIMOFARO:

Die digitale Landkarte von PRIMOFARO basiert auf detaillierten visuellen Analysen von Satellitenbildern, wobei wissenschaftlich fundierte Kriterien zur Unterscheidung zwischen natürlichen Waldbeständen und Produktionswald herangezogen wurden. Die Analysen wurden anhand von Bildern von Beispielgebieten und im Rahmen etlicher Gebietsbesuche (über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren) überprüft. Außerdem wurden Daten aus Partnerprojekten zur Urwaldforschung und -kartierung herangezogen:
- Urwaldforschungsprojekt "REMOTE" unter Leitung der Universität Prag

- Urwaldkartierungsprojekt unter Leitung der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg (finanziert durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt).

Die Ergebnisse wurden während mehrerer Exkursionen und durch eine Evaluierung der digitalen PRIMOFARO-Karten anhand historischer CORONA-Satellitenbilder validiert. Bei CORONA handelt es sich um inzwischen freigegebene Spionagebilder, die von den USA in den 1960er Jahren erstellt wurden. Nur 2 Prozent der ursprünglichen Datensätze wiesen in den 1960er Jahren Anzeichen von Nutzungen auf (Straßen, Kahlhiebsflächen). Diese Polygone wurden von der digitalen PRIMOFARO-Karte ausgeschlossen.

Waldschutz in Rumänien:

Bisher konzentrierte sich das rumänische Waldschutzprogramm („Nationaler Katalog der Urwälder“) ausschließlich auf den Schutz von Urwäldern, die qua Ministerialverordnung mit sehr eng gefassten Kriterien definiert wurden. Diese Kriterien werden sehr restriktiv angewandt und der Einschreibungsprozess verläuft skandalös langsam. Dies führt dazu, dass zahlreiche Natur- und Urwälder vom Schutz ausgeschlossen bleiben und sogar viele Urwälder internationaler Bedeutung nach wie vor nicht geschützt und akut vom Holzeinschlag bedroht sind.

Hinzu kommt, dass die EU-Naturschutzrichtlinien die Schutzverpflichtungen nicht auf Urwälder beschränken. Die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie verpflichten die EU-Mitgliedsstaaten, jede erhebliche Verschlechterung von Lebensräumen  in einem gutem Erhaltungszustand zu unterbinden. Rumänien ignoriert oder umgeht diese EU-Verpflichtungen  weitgehend.

Urwald und Naturwald:

Das PRIMOFARO-Inventar umfasst Urwälder (inklusive der Flächen, die im rumänischen Urwald-Katalog eingeschrieben sind), aber auch Naturwälder, die wahrscheinlich nur sehr geringfügig oder schon vor langer Zeit vom Menschen beeinflusst wurden. Sowohl Natur- als auch Urwälder beherbergen eine reiche Artenvielfalt (etwa: Eremiten-Käfer, Alpenbock-Käfer, Fledermäuse, Spechte, Eulen, Auerhähne, Bären, Luchse usw.) und binden große Mengen an Kohlenstoff.

Rückfragen:
Anja Arning, anja.arning(at)euronatur.org, Tel.: +49 (0)7732 - 92 72 13

 

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