Waldinventur aus dem All

Wie Satelliten helfen, Europas Urwälder zu schützen

Satellitenbild, in das die Länder des Westbalkans eingezeichnet sind.

In diesen sieben Ländern des Westbalkans (*Kosovo im Einklang mit der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats und dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs) haben sich Space4Good und EuroNatur gemeinsam mit vielen Partnern vor Ort auf die Suche nach alten und wilden Wäldern begeben.

© Space4Good

Es hat etwas Gespenstisches, wenn sie als Lichtpunkte durch den Nachthimmel gleiten. Satelliten kreisen heute wie selbstverständlich um die Erde und ermöglichen Navigationssystemen die metergenaue Bestimmung von Standorten, liefern Daten für Wetterprognosen oder übertragen Fernsehprogramme. Aber Satelliten und Naturschutz? Gemeinsam mit Naturschutzpartnern in sieben Ländern des Westbalkans haben wir uns auf dieses Terrain begeben. Begleitet wurden wir dabei von den Experten und Expertinnen des niederländischen Startup-Unternehmens Space4Good. Die Reise ins Unbekannte hatte vor allem ein Ziel: die letzten wilden Wälder auf dem Westbalkan ausfindig zu machen, um sie gemeinsam mit möglichst vielen Verbündeten besser schützen zu können.  

  • Über Space4Good

    Logo des Unternehmens Space 4 Good
    © Space4Good

    Space4Good ist ein niederländisches Sozialunternehmen mit Sitz in Den Haag, das sich auf die Verwendung von Fernerkundungsdaten für gesellschaftlich gemeinnützige und ökologische Zwecke spezialisiert hat. Das Team nutzt modernste Satellitenerdbeobachtung sowie künstliche Intelligenz, um weltweit eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Ziel ist es, einen größtmöglichen Beitrag zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele zu leisten. Eines davon ist der Erhalt der Biodiversität. Space4Good arbeitet dafür weltweit mit Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Behörden und Unternehmen zusammen. Mehr im Internet unter www.space4good.com.

  • Was sind Ur- und Naturwälder?

    Urwälder in Europa sind vom Menschen überwiegend unveränderte Wälder mit einer natürlichen Dynamik. Sie regenerieren sich auf natürliche Weise, bestehen aus heimischen Baumarten und weisen keine sichtbaren Anzeichen menschlicher Aktivitäten auf, beziehungsweise liegt der letzte Eingriff sehr lange zurück. Alte Wälder sind Wälder, in die der Mensch nachweislich eingegriffen hat. Sie zeigen aber Merkmale von Urwäldern. Dazu gehören zum Beispiel Bäume, die ihr natürliches Höchstalter erreichen, sowie ein hoher Anteil Totholz. 

„Wir haben absolutes Neuland betreten“

Blick durch die Bäume auf ein bewaldetes Tal aus dem Wolken aufsteigen.

Unberührt, ungezähmt und unzugänglich: Die Wälder im Boia Mica-Tal im Süden des Făgăraș-Gebirges (Rumänien).

© Matthias Schickhofer

Satellitentechnologie, künstliche Intelligenz und menschliche Erfahrung – die perfekte Mischung, um die Wälder des Westbalkans zu retten? Im Interview berichten Annette Spangenberg, Leiterin Naturschutz bei EuroNatur, EuroNatur-Waldexpertin Susanne Schmitt und Federico Franciamore von ersten gemeinsamen Gehversuchen und einem gelungenen Experiment. Der Spezialist für Fernerkundung und Geographische Informationssysteme leitet bei Space4Good seit 2022 das Projekt „Forest Beyond Borders“ (Wald über Grenzen hinweg). 

Wie lässt sich ein Ur- oder Naturwald aus dem Weltraum erkennen?

Federico Franciamore: Ur- und Naturwälder hinterlassen auf Satellitenbildern charakteristische Fingerabdrücke. Jeder Wald hat bestimmte Muster und spektrale Eigenschaften. Für naturnahe Wälder etwa sind chaotische Strukturen typisch und je nachdem wie das Kronendach Sonnenlicht reflektiert, können wir daraus schließen, welche Baumarten in dem Wald vorkommen. Über die Auswertung historischer Satellitendaten lässt sich ermitteln, welche Gebiete lange Zeit vom Menschen unberührt geblieben sind.

Warum braucht es hier die Satellitenfernerkundung? Wurden die Wälder des Westbalkans nicht längst kartiert?

Franciamore: Es gibt bislang noch keine lückenlose Kartierung und es fehlen aktuelle Datenbanken. Unser Ziel war es erstens, Ur- und Naturwälder zu lokalisieren und zweitens herauszufinden, wie gefährdet sie sind. Stellenweise konnten wir zum Beispiel aufdecken, wo Entwaldung stattgefunden hat oder aktuell stattfindet. Der dritte und letzte Schritt war es zu prüfen, ob diese Gebiete bereits unter Schutz stehen.  

Eine Drohne fliegt über den Urwald in Rumänien.

Waldexperten und -expertinnen überprüfen die Satellitendaten durch Stichproben vor Ort. Manchmal kommen dabei auch Drohnen zum Einsatz.

© Susanne Schmitt

Sie haben bewusst die Möglichkeiten von Fernerkundungstechnik sowie künstlicher Intelligenz mit den Erfahrungswerten von Waldschützerinnen und Waldschützern vor Ort zusammengebracht. Wie sah das aus?

Franciamore: Zuerst mussten wir Merkmale definieren, an denen sich Urwälder auf Satellitenbildern erkennen lassen. Dabei haben uns Testflächen geholfen, von denen wir sicher wussten, dass sie mit alten Wäldern bestanden sind. Danach kam die künstliche Intelligenz ins Spiel: Wir haben ein maschinelles Lernmodell trainiert, diese typischen Muster zu erkennen. Das Ergebnis war eine erste Karte, die zeigt, wo Urwälder mit welcher Wahrscheinlichkeit vorkommen. Die EuroNatur-Partner in Bosnien-Herzegowina, Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro, Kroatien und dem Kosovo haben mit Realitätschecks vor Ort dazu beigetragen, das Modell weiter zu verbessern. 

Annette Spangenberg: Es war in einigen Fällen schwieriger als erwartet, die nötigen Daten von unseren Partnern vor Ort zu erhalten. Einer der Gründe ist, dass diese neue Methode auch ein neues Denken und eine neue Art zu arbeiten erfordert. Zu Beginn unserer Zusammenarbeit mit Space4Good ging es erst einmal nur darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, die es erlaubt, die Möglichkeiten der Fernerkundungstechnik mit der Erfahrung der Waldschützerinnen und Waldschützer zusammen zu bringen. Wir haben dabei absolutes Neuland betreten. 

Franciamore: Dieser kontinuierliche Austausch war sehr wichtig und besonders. EuroNatur hat sehr viel Offenheit bewiesen, auch komplexe technische Inhalte zu verstehen und wurde für uns schnell zu einem kompetenten Partner. EuroNatur funktioniert als eine Brücke zwischen der technischen Seite und den Menschen, die jeden Tag vor Ort für den Schutz der Natur aktiv sind. Gemeinsam haben wir mehrere Online-Workshops organisiert, in dem wir Grundlagen der Satellitenfernerkundung vermittelt und das Netzwerk zusammengebracht haben. 

Das bewaldete Gebirgstal von Boia Mica in Rumänien.
© Matthias Schickhofer

Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis? 

Spangenberg: Einen Dialog zwischen Mensch und Maschine herzustellen war ein entscheidender Aspekt, aber auch nicht einfach. Hier waren wir für den Anfang vielleicht etwas zu ambitioniert. Dennoch zeigen die ersten Ergebnisse, wie viel wir mit diesem neuen Ansatz erreichen können.

Susanne Schmitt: Dank des Modells haben wir nun einen gut begründeten Verdacht, wo es in den sieben untersuchten Ländern des Westbalkans noch Ur- und Naturwälder gibt. Das ist eine wertvolle Grundlage, sie künftig besser schützen zu können. 

Franciamore: Die Realitätschecks vor Ort belegen, dass unser Modell sehr präzise ist. Überall dort, wo die Karte mit einer Wahrscheinlichkeit von über 80 Prozent Ur- oder Naturwälder markierte, waren tatsächlich welche zu finden. Das ist ein herausragendes Ergebnis. Auf der anderen Seite kam leider heraus, dass viele dieser Wälder bis dato nicht geschützt sind. 

Schmitt: Besonders interessant sind zum Beispiel Gebiete im Nordosten Albaniens. Das Modell zeigt einerseits an, dass es dort mit hoher Wahrscheinlichkeit noch Ur- oder Naturwälder gibt. Andererseits meldet es aber für diese Flächen ausgesprochen große Waldverluste für die vergangenen Jahre. Das ist eine brisante Mischung! Jetzt gilt es, sich das Ganze vor Ort genauer anzusehen und daraus die nächsten Schritte abzuleiten. 

Das Projektteam von Forests beyond borders: Rishi Sukul, Biman Biswas, Max Malynowsky, Hope Byrd, Mariana Silvestre, Liliana Gonzalez, Federico Franciamore

Das Team von Space4Good, das im Projekt „Forest Beyond Borders“ (FBB) mit EuroNatur zusammenarbeitet. Hintere Reihe: Rishi Sukul, Biman Biswas, Max Malynowsky

Vorne: Hope Byrd, Mariana Silvestre, Liliana Gonzalez, Federico Franciamore.

© Susanne Schmitt

Was sind die nächsten Schritte? Wie können die Waldkarten helfen, die Wälder besser zu schützen?

Franciamore: Mit Hilfe der Technologien haben wir eine objektive Datengrundlage geschaffen. Gerade in Gebieten, wo Korruption ein großes Thema ist und die Natur zugunsten wirtschaftlicher Interessen ausgebeutet wird, ist das besonders wichtig. 

Schmitt: In einigen Gebieten wird es darum gehen, die Ausweisung neuer Schutzgebiete zu erreichen. Mit Hilfe der Karte können wir nun auf nationaler wie europäischer Ebene gezielt dafür werben. Wo es schon Schutzgebiete gibt, gilt es zu prüfen, ob sie ausreichend Schutz bieten. Wo nötig, werden wir unsere Partner dabei unterstützen, rechtliche Schritte gegen illegale Abholzungen einzuleiten. Ein wichtiges Ziel ist und bleibt auch der Ausbau eines starken, grenzübergreifenden Netzwerks aus Waldschützern, Wissenschaftlerinnen und Nichtregierungsorganisationen.  

Franciamore: Wir wollten von Anfang an eine Plattform schaffen, wo gemeinsame Probleme diskutiert werden können. Während unserer Online-Trainings zum Thema Satellitenfernerkundung hat sich gezeigt, dass es in den verschiedenen Ländern ähnliche Schwierigkeiten gibt. Selbst wenn illegale Abholzung aufgedeckt wird, unternehmen die zuständigen Institutionen nichts dagegen. Das ist deprimierend! Ein starkes Partnernetzwerk kann hier die nötige Unterstützung bringen. Lösungen, die in einem Land funktionieren, lassen sich möglicherweise auf andere übertragen. Deshalb haben wir dem Projekt auch den Namen „Forest Beyond Borders“ gegeben. 

Text und Interview: Katharina Grund

Die Technologie der Fernerkundung hat die Art revolutioniert, wie wir Informationen über unseren Planeten gewinnen.

Portrait Federico Franciamore von Space4Good Federico Franciamore, Space4Good

Unternehmertum anders gedacht

„Mich beeindrucken Menschen, die für etwas kämpfen, das ihnen am Herzen liegt, wie zum Beispiel Gerechtigkeit oder eine intakte Natur.  Für mich wurde Space4Good zu einem Vehikel, solchen Impulsgebenden und den mit ihnen verbundenen Organisationen zu helfen. Wir arbeiten nach dem Prinzip: Impact first, business second, das bedeutet, dass wir jedes Projekt und jeden Auftraggeber bezüglich mehrerer Nachhaltigkeitskriterien bewerten, bevor wir eine Zusammenarbeit starten. Bei einem Treffen von sozialen Unternehmerinnen und Unternehmern beim Impact Hub in Amsterdam, wo es um neue, nachhaltige Wirtschaftsformen ging, hatte ich einen Schlüsselmoment. Mir wurde klar, dass das ,wie viel‘ nicht ansatzweise so wichtig ist wie das ,warum‘. Gemeinsam mit Organisationen wie EuroNatur will Space4Good einen positiven Wandel erreichen. Dafür stellen wir unsere Expertise im Bereich der Weltraumtechnologie bereit und EuroNatur bringt das nötige Netzwerk ein - Kontakte zu Menschen, die vor Ort etwas bewegen können. Das Projekt „Forest Beyond Borders“ ist eines der komplexesten, die wir derzeit haben, denn hier geht es stark darum, Organisationen und Einzelpersonen zu befähigen, Satellitenfernerkundung selbst für den Naturschutz zu nutzen. Ich sehe immer ein Lächeln auf den Gesichtern meines Teams, wenn es um EuroNatur geht. Ich würde unsere Zusammenarbeit als eine Art produktive Harmonie bezeichnen. Wir haben die gleiche Vision, unsere Natur zu erhalten und wo nötig zu regenerieren.“ 

Alexander Gunkel ist Gründer und Geschäftsführer von Space4Good

Unser Ziel ist es, mit Hilfe von Erkenntnissen aus dem Weltraum, Impulsgeber auf der Erde zu unterstützen.

Portrait Alexander Gunkel von Space4Good Alexander Gunkel, Space4Good
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