Gesundheitspolizisten und Klimaschützer

Geier sind nicht nur hoch angepasste Greifvögel mit ausgezeichneten Sinnen, sie leisten auch wichtige Beiträge in Ökosystemen. Als Gesundheitspolizei sind die Aasfresser unabdinglich. Neuere Untersuchungen haben sogar ergeben, dass Geier aktive Klimaschützer sind.

Rangelei am Kadaver

Mit seinen breiten Flügeln versucht hier ein Gänsegeier sich Respekt und Platz am Kadaver zu verschaffen.

© Hristo Peshev/FWFF
Bartgeier mit Beute

Quebrantahuesos, "Knochenbrecher" wird der Bartgeier auf Spanisch genannt. Diese Geierart hat sich auf Knochenmark spezialisiert. Um an die begehrte Nahrung heranzukommen, lassen die Geier die Knochen aus großer Höhe herunterfallen, wo sie dann zersplittern.

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Bären und Füchse, Raben und Bussarde: Aasfresser gibt es in Europa einige, doch Geier gelten als die effektivsten unter ihnen. Ein totes Tier von zum Beispiel 60 Kilogramm Gewicht können 100 Geier in weniger als 30 Minuten verzehren. Kein Wunder, dass Aas in der Natur nie lange liegen bleibt. Wie wichtig dies ist, haben wir in unserer aufgeräumten Landschaft Mitteleuropas, wo wir dem Tod in Form von Tierkadavern höchstens auf der Landstraße begegnen, nahezu vergessen.

Doch wie schaffen es die Aasfresser eigentlich, ihre Nahrung unbeschadet zu verdauen? Das Geheimnis der Geier liegt in ihrer extrem ätzenden Magensäure. Die des Bartgeiers etwa hat einen pH-Wert von 0,7 – das ist vergleichbar mit Batteriesäure! Keime haben da keine Chance. Um sich vor Krankheitserregern im Gefieder zu schützen, nutzen Geier die Sonne. In Höhen von teilweise mehreren Tausend Metern, in denen die Geier nach Nahrung Ausschau halten, tötet das UV-Licht ebenfalls alle Keime ab.

Neben der Vorbeugung von Seuchen erfüllen Geier noch eine weitere wichtige Ökosystemdienstleistung, die erst 2022 näher erforscht wurde. Beim Verwesungsprozess fallen zahlreiche klimaschädliche Gase an. Je schneller die Kadaver von den Geiern verzehrt werden, desto weniger Treibhausgase entweichen in die Atmosphäre. Geier sind also auch Klimaschützer!

verschiedene Geierarten sitzend
© Hristo Peshev/FWFF

Jedem Geier seine Leib- und Magenspeise

In Europa kommen fünf verschiedene Geierarten vor. Sie haben sich auf verschiedene Überreste von Kadavern spezialisiert. Da sich der aus Afrika erst vor einigen Jahren eingewanderte Sperbergeier bisher nur in Spanien fest etabliert hat und in seiner Biologie dem Gänsegeier ähnlich ist, wird er bei der folgenden Auflistung nicht berücksichtigt.

  • Bartgeier

    © Dietmar Nill

    Der größte Geier Europas ist der Bartgeier. Er hat sich auf Knochenmark spezialisiert. Seine außergewöhnlich große Mundspalte und seine spezielle Speiseröhre helfen beim Verzehr auch großer Knochen, der extrem niedrige pH-Wert seiner Magensäure erleichtert das Verdauen. Sind Knochen doch einmal zu groß, lässt der Bartgeier sie aus großer Höhe fallen, bis sie zersplittern. Dies macht er zumindest im Mittelmeerraum auch mit Landschildkröten; eines der wenigen Beispiele für die Jagd auf lebende Arten bei Geiern. Dass der Bartgeier Lämmer reißt – was ihm auch den Namen Lämmergeier eingebracht hat – gehört jedoch ins Reich der alpinen Mythen.  

  • Mönchsgeier

    © Hristo Peshev

    Nur minimal kleiner als der Bartgeier, ist der Mönchsgeier. Mit seinem kräftigen Schnabel ist er der Geier fürs Grobe und hat sich auf den Verzehr von Haut, Sehnen und Knorpeln spezialisiert. Im Gegensatz zu den anderen europäischen Geierarten brüten Mönchsgeier überwiegend auf Bäumen, sie sind also auch durch Rodungen großer alter Nistbäume gefährdet. Eine dichte Federkrause umgibt ihren Hals, was entfernt an den Kragen einer Mönchskutte erinnert. Deshalb der Name Mönchs- oder Kuttengeier.

  • Gänsegeier

    © EBFoto/Deposit

    Ein langer, nur spärlich befiederter Hals ist das Kennzeichen des Gänsegeiers, des häufigsten Vertreters der Gattung in Europa. Mit ihm stoßen die Vögel in den Kadaver vor, häufig über die Analöffnung. Ansonsten ist der Gänsegeier aber auch in der Lage, mit seinem Schnabel die Bauchdecke des toten Tieres aufzureißen. Er frisst am liebsten das Muskelfleisch, die Innereien und die Weichteile vom Aas. Innerhalb der oft großen Gänsegeiertrupps an einem Kadaver herrscht eine strenge Rangordnung, anderen Aasfressern wie Schakalen oder den größeren Mönchsgeiern müssen sie aber häufig den Vortritt lassen.

  • Schmutzgeier

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    Obwohl in seiner Nahrungswahl sehr flexibel, ist der kleine Schmutzgeier die am meisten gefährdete Geierart in Europa mit zuletzt dramatischen Bestandseinbrüchen. Als einziger Geier gebraucht er Werkzeuge, vor allem in Form von Steinen, mit denen er Eier anderer Vögel zerschlägt. Diese Art des Nahrungserwerbs ist wichtig für den Schmutzgeier, denn an Kadavern ist er als letztes an der Reihe und frisst das, was die anderen übriggelassen haben. Ebenfalls als einziger Geier Europas fliegt der Schmutzgeier im Herbst gen Süden, um die kalte Jahreszeit in Afrika zu verbringen. Schutzmaßnahmen müssen also auch die Rast- und Überwinterungsgebiete einschließen.

Der Autor des Artikels hat auf einer Pressereise nach Bulgarien zum ersten Mal Geier in freier Wildbahn gesehen. Spätestens seither ist er großer Fan der gefiederten Aasfresser.

EuroNatur hat in den zurückliegenden Jahren mehrere Projekte zum Geierschutz in Südeuropa unterstützt, zuletzt im bulgarischen Balkangebirge. Hier ein paar weiterführende Links:

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