Der Aoos-Staudamm lässt das Leben in einem der letzten wilden Flüsse Europas versiegen

Das Fehlen eines vorgeschriebenen ökologischen Abflusses aus einem Wasserkraft-Staudamm im griechischen Teil des Flusses Aoos/Vjosa gefährdet ein einzigartiges und sensibles Ökosystem. Eine neue wissenschaftliche Studie unterstreicht die dringende Notwendigkeit, eine Mindestabflussregelung zu schaffen, um die ökologischen Funktionen des Flusses wiederherzustellen und seine reiche Biodiversität zu bewahren.

Der früher frei fließende Fluss ist durch einen fehlenden ökologischen Abfluss aus dem Staudamm am Aoos-See auf einen schmalen Bach von gerade einmal 1,3 m Breite reduziert worden.

Der einst frei fließende Fluss ist durch einen fehlenden ökologischen Abfluss aus dem Aoos-Stausee auf einen schmalen Bach von gerade einmal 1,3 m Breite reduziert worden

© Fanikos Sakellarakis | Medina
Der Fluss Aoos/Vjosa

Der Aoos/Vjosa oberhalb der Brücke in Konitsa.

© Joshua D. Lim
Der Staudamm am Aoos-See hat den Wasserdurchlauf zum stromabwärts liegenden Flussbereich vollständig blockiert.

Der Aoos-Staudamm hat den Wasserdurchlauf zum stromabwärts liegenden Flussbereich vollständig blockiert.

© Joshua D. Lim

Athen, Radolfzell, Wien. Eine neue wissenschaftliche Studie unter der Leitung von Forschern der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) und dem Hellenischen Zentrum für Meeresforschung (HCMR) in Athen zeigt schwere ökologische Folgen eines fehlenden Mindestabflusses aus dem Staudamm an den Aoos-Quellen auf. Dieser Mangel schädigt sowohl die Biodiversität des Flusses als auch seinen natürlichen Wasserhaushalt.

Nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie ist ein ökologischer Abfluss nicht einfach ein minimales Wasservolumen, sondern die Menge an Wasser, die nötig ist, damit die Ökosysteme stromabwärts ihre natürlichen Eigenschaften bewahren und unerlässliche ökologische Funktionen erfüllen können. Die Bestimmungen sowohl der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EC) als auch der Habitatrichtlinie (92/43/EEC) der EU enthalten die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Sicherstellung eines angemessenen Wasserflusses, zur Erhaltung eines „guten ökologischen Zustands“ und zum Schutz festgelegter Arten und Lebensräume – von denen viele direkt von kontinuierlich fließendem Flusswasser abhängig sind. Trotzdem verlangt die griechische Gesetzgebung zur Zeit nicht die Schaffung eines ökologischen Abflusses für große Staudämme von Wasserkraftwerken.

Aoos/Vjosa, einer der letzten Wildflüsse Europas, erstreckt sich über eine Länge von 260 km und fließt von seiner Quelle in Griechenland durch den Pindos-Nationalpark und dreizehn Natura-2000-Gebiete, bevor er die Grenze nach Albanien überquert, wo er den Wildfluss-Nationalpark Vjosa bildet und schließlich in die Adria mündet. Er stellt einen lebenswichtigen ökologischen Korridor dar und ein von der nationalen wie europäischen Gesetzgebung anerkanntes grenzüberschreitendes Ökosystem. Aber der Bau des Staudamms an den Aoos-Quellen im Jahr 1987, Teil eines bedeutenden Infrastrukturprojekts im Bereich Wasserkraft und eines künstlichen Stausees, stoppte den Wasserdurchlauf flussabwärts vollständig und löste damit eine Kaskade schwerwiegender ökologischer Folgen aus.

Die Studie – veröffentlicht von Riverwatch, Euronatur und MedINA als Teil des internationalen Zusammenschlusses Save the Blue Heart of Europe – wirft ein Schlaglicht auf die dringende Notwendigkeit, einen ökologischen Abfluss aus dem Aoos-Staudamm wiederherzustellen. Zu ihren wesentlichen Erkenntnissen gehören:

  • Ohne ökologischen Abfluss aus dem Aoos-Stausee ist der einst frei fließende Fluss zu einem schmalen, nur 1,3 m breiten Bach reduziert worden. Das hat drastische hydromorphologische Veränderungen ausgelöst und das umliegende Ökosystem der Flussufer schwer geschädigt.
  • Das Fehlen eines ökologischen Abflusses hat einen drastischen Verlust an Lebensräumen verursacht und einen erheblichen Rückgang der Fischvielfalt und Fischpopulationen – insbesondere von Arten wie der Balkanforelle (Salmo farioides), die unter der EU-Habitatrichtlinie geschützt ist.
  • Diese Folgen sind in den trockenen Sommermonaten am kritischsten und erstrecken sich bis in den Pindos-Nationalpark und drei Natura-2000-Gebiete, was zu akuten Sorgen angesichts der gegenwärtig herrschenden Bedingungen in der Klimakrise Anlass gibt.

Die Studie unterstreicht die dringende Notwendigkeit, einen ökologischen Abfluss wiederherzustellen, um die Biodiversität des Flusses zu bewahren. Sie empfiehlt die Implementierung eines ganzjährigen Minimalabflusses kombiniert mit dynamischen jahreszeitlichen Schwankungen, um die Fischfortpflanzung, den Sedimenttransport und die natürliche Flussbetterneuerung zu unterstützen.

„Der Aoos ist nicht nur ein Fluss. Er ist eine essenzielle Lebensarterie, die Ökosysteme, Gemeinschaften und kulturelles Erbe verbindet. Einen ökologischen Abfluss sicherzustellen, muss ein Eckpfeiler der öffentlichen Ordnung für eine nachhaltige Zukunft dieser Region sein,“ sagt Alexis Katsaros, Geschäftsführer von MedINA.

Hintergrundinformationen

  • Der empfohlene ökologische Abfluss beinhaltet ein dauerhaftes Minimum von 0,37 m³/sec – das die durchschnittliche sommerliche Fließgeschwindigkeit des Flusses vor dem Bau des Staudamms widerspiegelt – und eine dynamische Komponente in Höhe von 20 % des durchschnittlichen täglichen Abflusses, um die natürliche Schwankungsbreite nachzuahmen und saisonalen ökologischen Erfordernissen gerecht zu werden.
  • Die Studie „Ecological Flow Assessment for the Aoos River below the Aoos Springs Reservoir Dam“ wurde von der Manfred-Hermsen-Stiftung finanziell unterstützt.
  • Die Kampage Save the Blue Heart of Europe wird von EuroNatur und Riverwatch koordiniert, einer deutschen und einer österreichischen NGO, in Partnerschaft mit Organisationen aus Balkanländern. Die Kampagne hat zum Ziel, die kostbaren Flüsse der Region zu schützen, die von nahezu 3.200 Wasserkraftprojekten bedroht sind. Sie richtet sich unter anderem gegen große Staudammprojekte, die unter dem Deckmantel „grüner Energiegewinnung“ verwirklicht werden.

Pressekontakt:
Anika Konsek, EuroNatur, E-Mail: anika.konsek(at)euronatur.org 
Fanikos Sakellarakis, MedINA, E-Mail: fanikos(at)med-ina.org 
Cornelia Wieser, Riverwatch, E-Mail: cornelia.wieser(at)riverwatch.eu

 

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