Serbien gilt als einer der Hotspots für Vogelvergiftungen in Europa. Immer wieder fallen Raben- und Greifvögel Giftködern und sogenannten Kamikaze-Tauben zum Opfer. Unsere serbischen Partner von BPSSS kämpfen gegen diese Form des Vogelmords – mit Hilfe der Justiz und mit Aufklärungsarbeit.
Erschütternder Anblick auf den Feldern von Nakovo. Doch das ist nur ein Bruchteil der toten Rabenvögel, die dem Massensterben im Nordosten Serbiens zum Opfer fielen.
Die Felder rund um das Dorf Nakovo im Nordosten Serbiens sind in eine beunruhigende Stille versunken. Die Grabesruhe wird nur durch das Geräusch von Saatkrähen und Dohlen unterbrochen, die tot von Bäumen und Büschen fallen. Die Vögel lebten einst in den Feldern rund um Nakovo und suchten dort nach Insekten, Mäusen und Getreide. An diesem Frühlingstag fanden sie vor allem eines: tödliche Samen. So nahmen die Krähen und Dohlen unwissentlich ihre letzte Mahlzeit zu sich.
Kein Einzelfall
Slobodan Marković von unserer serbischen Partnerorganisation BPSSS ist begeisterter Ornithologe. Vergiftete Vögel zu sehen, bricht ihm das Herz.
Dem großen Vogelsterben im Nordosten Serbiens fielen Anfang März 2024 rund tausend Vögel zum Opfer. Es ist einer der dramatischsten Fälle von Vogelvergiftungen in Europa – doch leider keine Ausnahme. Anfang 2025 suchte erneut eine Vergiftungswelle den Balkanstaat heim. Diesmal fielen neben Rabenvögeln auch viele Greifvögel dem Gift zum Opfer; allein im Januar und Februar 2025 sind 19 seltene und streng geschützte Greifvögel in Serbien ums Leben gekommen.
„Dieser alarmierende Trend bedroht nicht nur gefährdete Arten, sondern auch das empfindliche Gleichgewicht der Ökosysteme, in denen sie leben“, sagt Slobodan Marković von unserer serbischen Partnerorganisation BPSSS (BirdLife Serbien). Die serbischen Vogelschützerinnen und -schützer engagieren sich seit Jahren gegen die Vergiftungen von Wildtieren im Land. Lange Zeit war es ein Kampf gegen Windmühlen, doch zuletzt konnten sie einige Fortschritte auf institutioneller Ebene erzielen.
Vögel meist unbeabsichtigte Opfer
Serbien gilt als einer der Hotspots für Vogelvergiftungen in Europa. Eine Karte der Totfunde zeigt klar, wo die meisten Vergiftungsfälle auftreten: im Norden des Landes. Die Vojvodina ist geprägt von intensiver Landwirtschaft. In der Pannonischen Tiefebene reihen sich neben Sonnenblumen- und Tabakfeldern auch zahlreiche Gemüse- und Getreideäcker aneinander. Mäuse haben sich unter diesen Bedingungen zuletzt stark vermehrt. Sehr wahrscheinlich waren vergiftete Samen, die Nagetiere töten sollten, die Ursache des Massensterbens.
Zudem ist die Region ein bedeutendes Verbreitungsgebiet des Goldschakals. Diesem Vertreter aus der Familie der Hundeartigen gilt die Mehrheit der Giftanschläge. Viehhalter fürchten, dass die großen Verwandten des Fuchses Lämmer und Hühner reißen. Deshalb legen sie verbotenerweise Giftköder aus, die zum Beispiel mit dem hochwirksamen Nervengift Carbofuran präpariert sind. Die Goldschakale sterben nach dem Verzehr der Köder einen qualvollen Tod; gleichzeitig wird billigend in Kauf genommen, dass auch andere Aasfresser wie eben Raben- und Greifvögel grausam verenden. Aufgrund ihrer scharfen Sinnesleistungen nehmen Geier und Adler die Köder oftmals sogar vor den Schakalen wahr und sind deshalb noch stärker durch das Gift gefährdet.
Vergiftungen: ein europaweites Übel
Ein toter Seeadler auf einem Acker in Serbien. Diese Vögel fallen als ausgewiesene Aasfresser besonders häufig den Vergiftungen zum Opfer.
Serbien ist nicht das einzige Land in Europa, in dem Vögel im größeren Maßstab – mal unbeabsichtigt, mal gezielt – vergiftet werden. Die gemeinsam von EuroNatur und BirdLife im Mai veröffentlichte Studie The Killing 3.0: Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Tötung von Vögeln im Mittelmeerraum und in Europa zeichnet ein düsteres Bild des Vogelmords in weiten Teilen Europas, Vorderasiens und Nordafrikas. Neben Abschüssen und Netzfängen stellen Vergiftungen eine häufige Todesursache dar, insbesondere für Greif- und Rabenvögel.
Auch die besonders perfide Tötungsmethode mit „Kamikaze-Tauben“ ist nicht nur in Serbien verbreitet. In Deutschland werden ebenfalls immer wieder Fälle von Taubenzüchtern gemeldet, die mit vergifteten Locktauben Jagd auf Habichte und Falken machen. Auch hierzulande ist die Strafverfolgung von Vogelvergiftungen leider selten von Erfolg gekrönt.
Weitere Informationen zum europäischen Ausmaß von Vergiftungsfällen finden Sie auf dieser Internetseite: stopwildlifepoisoning.eu Dort können Sie eine Petition zum Thema unterzeichnen, die auch EuroNatur unterstützt.
Tödliche Lebendköder für Greifvögel
Die Landwirte, die Gift streuen oder präparierte Kadaver auslegen, handeln zwar unverantwortlich, haben aber meist nicht den Tod der Vögel als Ziel. Dafür gibt es eine andere Gruppe, die gegen das Gesetz verstößt und es ganz bewusst auf Greifvögel abgesehen hat: Schwarze Schafe unter den Taubenzüchtern Serbiens töten Habichte und Falken, die sie als Bedrohung für ihre frei fliegenden Zuchttauben sehen. Sie schießen mit Gewehren auf die Greifvögel oder versehen Tauben mit kleinen Metallhaken in den Flügeln. Werden die Tauben etwa von einem Habicht ergriffen, sacken Jäger und Beute aufgrund des schwereren Gewichts rasch zu Boden, wo sie von den lauernden Taubenzüchtern erschlagen werden.
Trauriger Fund: ein vergifteter Wanderfalke in der serbischen Stadt Kragujevac. Wanderfalken sind hervorragende Jäger: Mit Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 320 Stundenkilometern beim Jagdstoß gelten sie als das schnellste bekannte Tier der Welt.
Im Nacken der Taube lässt sich gut die Stelle erkennen, an der das Gift aufgetragen wurde. Hier eine tote Zuchttaube in Regensburg. Auch in Deutschland kommen "Kamikaze-Tauben" zum Einsatz.
Und es geht noch perfider: Manche Taubenhalter streichen züchterisch uninteressanten Exemplaren ihres Taubenschlags Gift in den Nacken; teilweise stutzen die Täter ihren Tauber sogar die Federn, damit sie zur leichteren Beute werden. Die präparierten Tauben kommen beim Putzen ihres Gefieders nicht mit dem Gift in Kontakt, die Falken sehr wohl. Sie schlagen ihre Beute häufig durch einen gezielten Nackenbiss, also genau dort, wo das Gift aufgetragen wurde. Der Einsatz solcher sogenannten „Kamikaze-Tauben“ hat Methode in Serbien. „Wir haben etwa 50.000 Taubenzüchter im Land“, sagt Slobodan Marković. „Schätzungsweise zehn Prozent davon machen Jagd auf Greifvögel. Das bedroht nicht nur die Bestände von Falken und Habichten, sondern auch die Ökosysteme, in denen die Greifvögel eine wichtige Rolle einnehmen.“
Um dem illegalen Treiben Einhalt zu gebieten, lernen unsere serbischen Partner von ihren bulgarischen Kolleginnen und Kollegen. In Bulgarien gab es bereits einen Austausch zwischen Vogelschützerinnen und Taubenzüchtern und es wurden Methoden entwickelt, durch die Greifvögel weniger Haustauben schlagen. Ein Ansatz ist zum Beispiel, die Flügel von Tauben mit bunten Farben anzumalen, was Falken und Habichte offenbar irritiert. Dadurch sank die Zahl der Greifvogelattacken um 40 bis 50 Prozent, was wiederum deren Akzeptanz bei den Taubenzüchtern erhöhte.
Schwierige Strafverfolgung
Die Vergiftung von Wildtieren ist auch in Serbien eine Straftat, die mit hohen Bußgeldern geahndet wird. Doch so gut wie nie werden die Täter zur Rechenschaft gezogen, auch weil die Beweisführung schwierig ist. Vergiftete Vögel sterben nicht unbedingt dort, wo sie das Gift zu sich genommen haben. Und die illegalen Substanzen können die Täter schnell verschwinden lassen.
Unsere serbischen Partner fahren dennoch bei jedem von freiwilligen Helfern gemeldeten Vergiftungsfall ins Feld und schreiben einen ausführlichen Bericht, den sie der Polizei übergeben. „In Serbien sind in den zurückliegenden zwanzig Jahren mehr als 3.000 Vögel an Vergiftungen gestorben, und dies sind nur die aufgedeckten Fälle. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher“, so Slobodan Marković. „Kein einziger Täter wurde jedoch gefasst und bestraft. Dies zeigt, dass Vergiftungen eine gängige Praxis sind, aber die zuständigen Institutionen versäumen es, die Fälle vor Gericht zu bringen“, klagt Marković.
Unser hartnäckiges Nachfassen bei den Behörden zeigt erste Erfolge. Mittlerweile nehmen viele Polizisten in Serbien das Thema Wildtierkriminalität ernst und gehen den Fällen nach.
Slobodan Marković, BPSSS
Unsere Partner von BPSSS drängen die Behörden dazu, ihren Pflichten nachzukommen und die Gesetze durchzusetzen. Die jüngsten Entwicklungen machen Mut. So haben die serbischen Behörden Anfang des Jahres gezielte Operationen gegen den illegalen Handel mit Pestiziden durchgeführt. Es gab mehrere Festnahmen und Tausende Verpackungen mit gefährlichen Chemikalien wie Carbofuran wurden beschlagnahmt. Ohne diesen Schwarzmarkt, auf dem die Chemikalien gehandelt werden, würden die Vergiftungen in Serbien kein so großes Ausmaß annehmen. Insofern ist dessen Eindämmung ein wichtiger Schritt.
Das Besondere an den jüngsten Operationen der serbischen Strafverfolgungsbehörden ist ihr Umfang und ihre Koordination. Die Behörden reagierten nicht nur auf einzelne Vorfälle, sondern arbeiteten über einen langen Zeitraum hinweg daran, größere Netzwerke zu zerschlagen, die am illegalen Handel mit Pestiziden beteiligt sind. „Diese Strafaktion der Behörden war sehr gut, dennoch gibt es noch viel zu tun“, sagt Slobodan Marković. „Wir brauchen dringend einen Aktionsplan gegen die illegale Verfolgung von Vögeln, inklusive gegen die Vergiftungen. Abläufe und Zuständigkeiten müssen klar definiert werden“, so der Vogelschützer. Regelmäßig versanden die Fälle, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
Nicht nur Tiere sind gefährdet
Mit Carbofuran behandeltes Maissaatgut. Dessen Verzehr tötet vor allem Nagetiere und Rabenvögel. Es verseucht jedoch auch den Boden und kann ins Trinkwasser gelangen.
Dabei stellt der Kontakt mit den Giftstoffen sogar für Menschen eine große Gesundheitsgefährdung dar. Übelkeit, Schwindel und Atemnot sind häufige Nebenwirkungen, wenn Menschen mit den Chemikalien in Kontakt kommen – in extremen Fällen können sie sogar zum Tod führen. Die Gifte kontaminieren zudem Böden und Wasservorkommen und führen zu einer langfristigen Verschmutzung, die die Landwirtschaft und die Trinkwassersicherheit gefährden.
Oft wissen die Täter nicht einmal um die weitreichenden Gefahren. Deshalb leisten unsere Partner von BPSSS Aufklärungsarbeit. Sie sensibilisieren die lokale Bevölkerung für die Thematik und stellen klar: Tiervergiftungen sind kein Kavaliersdelikt! Sie bedrohen nicht nur seltene Arten, sondern die gesamte Umwelt – und damit auch die Menschen vor Ort.
Autor: Christian Stielow hat schon häufiger über Vergiftungsfälle in Südosteuropa geschrieben. Das Ausmaß in Nakovo und die perfiden Methoden einiger Taubenzüchter haben ihn bei der Recherche zu diesem Artikel erschüttert.