"Wenn wir zusammenarbeiten, können wir die Welt verändern"

„Die Save the Rivers Coalition spricht mit einer gemeinsamen Stimme für die Flüsse, um mehr Gehör zu finden. Mit der Verleihung des EuroNatur-Preises wollen wir diese Stimme weiter stärken“, sagte Euro-Natur-Vizepräsidentin Dr. Anna-Katharina Wöbse bei der Preisverleihung.

Protest gegen das Staudammprojekt in Siarzewo an der Weichsel (polnisch Wisła). Die Bauarbeiten sollten eigentlich Anfang 2024 beginnen.

© Justyna Choros
  • Über die Save the Rivers Coalition

    Demo gegen Ausbau der Wasserstraße
    © Jannis Bierschenk

    Die Save the Rivers Coalition oder Koalicja Ratujmy Rzeki (KRR) vereint Organisationen sowie Einzelpersonen, die Polens Flüsse, Bäche und Feuchtgebiete schützen, darunter Wissenschaftlerinnen, Künstler und lokale Behörden. Die Koalition besteht aus über 50 Organisationen und mehr als 50 Einzelpersonen. Unter anderem setzt sich die KRR seit Jahren für den Schutz von Oder und Weichsel ein. Sie kämpft auch gegen den geplanten Bau der Wasserstraße E40, die in der transnationalen Region Polesien (Polen, Ukraine, Weißrussland) eines der größten Wildnisgebiete Europas gefährdet. Am 26. Oktober nahmen Justyna Choroś von der Polnischen Gesellschaft für Vogelschutz, Dorota Chmielowiec-Tyszko von der Fundacja EkoRozwoju und Piotr Nieznański vom WWF Polen den EuroNatur-Preis stellvertretend für das Flussschutzbündnis auf der Bodenseeinsel Mainau entgegen.  

Im Interview berichten die drei Preisträger der KRR wie es ihnen gelungen ist, auch unter schwierigen Bedingungen die Hoffnung nicht zu verlieren.

War es eine gute Idee, die Save the Rivers Coalition ins Leben zu rufen?

Justyna Choroś: Die beste überhaupt! Wir nutzen im Naturschutz oft das Bild von David und Goliath und sehen uns als David. Was aber, wenn es Tausende Davids gibt, die sich zusammenschließen? Genau das haben wir mit der KRR getan. Deshalb fühle ich mich heute im Angesicht der Gegner, mit denen wir es zu tun haben, nicht mehr schwach, sondern ziemlich stark.

Piotr Nieznański: Die Bildung der KRR war die Reaktion auf die Pläne der konservativen Regierung, die polnischen Flüsse in Wasserstraßen zu verwandeln. Wenn einzelne Nichtregierungsorganisationen auf lokale Umweltprobleme aufmerksam machen, wird das leicht abgetan. Aber wenn ein Zusammenschluss aus 100 Organisationen und Menschen etwas sagt, dann rüttelt das auf. Es erhöht unsere Wirksamkeit, dass wir persönliche Meinungen zurückstellen und nach außen hin mit einer vereinten Stimme sprechen. Jede und jeder von uns ist Botschafter für das gemeinsame Anliegen: für frei fließende Flüsse. Das Thema ist in Polen groß geworden, obwohl die Politik unsere Arbeit lange Zeit blockiert hat. Heute werden wir gehört.

„Wir haben auf die zerstörerischen Pläne der Regierung mit einer sozialen Bewegung für die Flüsse geantwortet.“

Portrait Piotr Nieznanski Piotr Nieznański, Save the Rivers Coalition

Wie wertvoll war das Flussschutzbündnis während der Oder-Katastrophe im vergangenen Sommer?

Dorota Chmielowiec-Tyszko: Es war schrecklich, was an der Oder passiert ist. Auf der anderen Seite hat die Katastrophe an der Oder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Situation der Flüsse in Polen gelenkt. Wir haben die Chance genutzt, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen, indem wir die Medien mit Informationen versorgt haben. Es gab zahlreiche kritische Beiträge, die der Berichterstattung der regierungstreuen Medien etwas entgegengesetzt haben.

Piotr Nieznański: Wir haben eng mit unseren deutschen wie tschechischen Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet und wir haben schnell reagiert. Von den Regierungen (Anm. Red.: der Anrainerstaaten) konnte man das nicht behaupten. Menschen, die direkt am Fluss wohnen, erlebten wie das gesamte Ökosystem innerhalb von wenigen Tagen kollabiert ist. Polnische Politiker oder Politikerinnen ließen sich lange überhaupt nicht blicken. Am zehnten Tag der Katastrophe gab es dann eine Pressekonferenz an der mittleren Oder. Ein Vertreter der PiS-Partei sagte gegenüber dem öffentlichen Fernsehen allen Ernstes, er stehe nun am Flussufer und könne bestätigen, es sei nichts Schlimmes passiert. Nur wenige Meter entfernt zogen Menschen sterbende Fische aus dem Wasser und schrien: „Ihr lügt!“ Der Kameramann hat diese Szenen komplett ausgeblendet. Einer unserer Kollegen verbreitete zeitgleich über die sozialen Medien ein Video von der Pressekonferenz, welches die Katastrophe zeigte.  

  • Was an der Oder geschah

    Tote Fische liegen am Ufer  beim Fischsterben in der Oder.
    © Sascha Maier/BUND

    Dass die Wahl für den EuroNatur-Preis auf ein polnisches Flussschutzbündnis fiel, hing nicht zuletzt mit der Oderkatastrophe im Juli 2022 zusammen: Schadstoffhaltige Abwässer, Eingriffe in die Flussdynamik und anhaltende Trockenheit hatten es giftigen Algen ermöglicht, sich in der Oder massenhaft zu vermehren. Mehr als die Hälfte aller Fische im Fluss starben, dazu unzählige Muscheln und Schnecken. Nach wie vor leiten polnische Bergwerke salzige Abwässer in die Zuflüsse ein; auch der Ausbau des deutsch-polnischen Grenzflusses zur Wasserstraße ist noch nicht vom Tisch. Gegen diese Pläne hat EuroNatur im Jahr 2022 gemeinsam mit der KRR und weiteren Partnern eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht.

Haben die Geschehnisse an der Oder die Menschen in Polen wachgerüttelt?

Justyna Choroś: Wir haben die polnische Gesellschaft und die Regierung jahrelang darauf hingewiesen, dass es mit dem Management der Flüsse große Probleme gibt. Die Oderkatastrophe hat diese Versäumnisse offensichtlich gemacht. Heute glaubt man uns. 

Piotr Nieznański: Ja, für viele Menschen war das ein Weckruf. Ihnen wurde bewusst, dass die Regierung sie anlügt. Ich denke, diese Erkenntnis spiegelt sich im Ergebnis der Parlamentswahlen (Anm. Red.: im Oktober 2023) wider. Es ist ein Sieg für die Demokratie in Polen.

Die Gesellschaft ist heute auf unserer Seite und das ist eine großartige Veränderung.

Portrait Justyna Choros Justyna Choroś, Save the Rivers Coalition

Bauarbeiten an der Oder, die im vergangenen Jahr trotz gerichtlichen Baustopps fortgesetzt wurden. Auch nach dem Regierungswechsel wird, Stand Ende Januar 2024, weiter gebaut. Es wird höchste Zeit, dass die Zuständigkeiten wieder vom Infrastruktur- ins Umweltministerium wechseln.

© Sascha Maier/BUND

Bedeutet ein Ende der konservativen Regierung auch neue Hoffnung für die Flüsse?

Dorota Chmielowiec-Tyszko: Das hoffen wir. Unter der PiS-Regierung erhielten wir Nichtregierungsorganisationen keinerlei Unterstützung und mussten ums Überleben kämpfen. Das hat uns viel Energie gekostet. Oft konnten wir uns kaum auf unsere eigentliche Arbeit konzentrieren. Ich denke, dieses Problem werden wir dann in diesem Ausmaß nicht mehr haben.  

Piotr Nieznański: Das Wahlergebnis zeigt, dass die Menschen in Polen sich wieder mit Europa verbinden wollen, also auch mit europäischen Standards im Umwelt- und Gewässerschutz. Es gibt Hoffnung!

Dorota Chmielowiec-Tyszko: Zusammen mit dem internationalen Bündnis Zeit für die Oder hat die Save the Rivers Coalition eine positive Vision für die Oder erarbeitet und diese im Vorfeld der Wahlen an die einzelnen Parteien geschickt. Sie beruht auf dem, was die Europäische Wasserrahmenrichtlinie und die Europäische Biodiversitätsstrategie vorgeben. Das heißt, unsere Vision ist nicht nur ein schöner Traum. Wir haben es geschafft, das Thema Flussschutz in den Wahlprogrammen aller demokratisch-liberalen Parteien zu verankern.

Justyna Choroś: Allerdings müssen wir wachsam bleiben und genau kontrollieren, was dann wirklich umgesetzt wird.

Wie sieht denn diese positive Vision aus, die Sie speziell für die Oder, aber auch für all die anderen Flüsse in Polen haben?

Justyna Choroś: Ganz entscheidend ist, dass wir das Narrativ verändert haben. Bisher hieß es immer, die Umwelt muss genutzt werden. Wir aber sehen den Menschen als Teil der Umwelt.

Piotr Nieznański: Über Jahre hinweg wurden die Flüsse missbraucht, um Geld zu machen. Ein Beispiel für dieses Problem ist die Einleitung von Salz in die Oder durch den Bergbau. Die ordnungsgemäße Entsorgung dieses Salzes würde täglich Kosten in Höhe von etwa 1,5 Millionen Zloty (ca. 350.000 Euro pro Tag) verursachen. Daher entscheiden sich die Unternehmen, erhebliche Summen zu sparen, indem sie das Salz direkt in den Fluss einleiten. Die Anwohner an der Oder haben sich daran gewöhnt, dies als unabänderliche und normale Situation zu betrachten. Aber das ist es nicht! Wir sprechen uns für eine alternative Vision eines gesunden Flussökosystems aus, das klares, unverschmutztes Wasser liefert, in dem man schwimmen kann, das reich an Fischen ist und dessen Flusstäler in der Lage sind, beträchtliche Wassermengen zu speichern, um sowohl Dürren als auch Überschwemmungen zu lindern.

Flüsse kennen keine Grenzen, daran sollten wir immer denken!

Portrait Dorota Chmielowiec-Tyszko Dorota Chmielowiec-Tyszko, Save the Rivers Coalition
Gebirgsfluss in Polen

Nicht nur so prominente Flüsse wie die Oder brauchen Schutz. Die Save the Rivers Coalition gibt auch weniger bekannten Flüssen eine Stimme. Im Bild die Białka in der Hohen Tatra, die den Charakter eines Hochgebirgsflusses hat.

© Paweł Augustynek Halny
Naturbelassene Flusslandschaft

Der Oderbruch bei Neurüdnitz: Auch von deutscher Seite braucht es ein klares Bekenntnis zum Oderschutz!

© Sascha Maier/BUND

Was sind die größten Herausforderungen, die nun anstehen?

Justyna Choroś: Nicht nur die großen Flüsse wie Oder und Weichsel machen uns Sorgen. Wir haben auch Probleme an sämtlichen kleineren Flüssen in Polen.

Piotr Nieznański: Laut einer aktuellen Studie des WWF Polen wurden zwischen 2008 und 2020 fast 30.000 Kilometer dieser kleinen Flüsse reguliert. Das entspricht etwa einem Fünftel. Anstatt den ökologischen Status der Flüsse zu verbessern, wie es die EU-Wasserrahmenrichtlinie vorgibt, wurden die polnischen Flüsse zerstört, zum Teil mit Hilfe von EU-Geldern, die eigentlich für den Naturschutz vorgesehen waren. Normalerweise sind in der Europäischen Union öffentliche Anhörungen vorgeschrieben. Das Rechtssystem wurde unter der konservativen Regierung aber verändert: NGOs wurden daran gehindert, an Konsultationen teilzunehmen und sogar von Verwaltungsverfahren ausgeschlossen. So etwas hat es in Europa nie zuvor gegeben. Wir müssen sicherstellen, dass die neue Regierung diese Änderungen rückgängig macht.

Justyna Choroś: Es liegt auch viel Arbeit vor uns, die Schäden jahrelanger Propaganda zu beseitigen. Viele Menschen glauben nach wie vor, was ihnen eingeredet wurde: der Ausbau der Flüsse sei gut für die Natur und bringe ihnen Arbeitsplätze. Die große Frage für uns ist nun, wie können wir diese Teile der Bevölkerung erreichen?

Dorota Chmielowiec-Tyszko: Es ist auch ein Unding, dass der deutsche Bundesminister für Digitales und Verkehr, Volker Wissing, den Oderausbau weiterhin unterstützt.

Piotr Nieznański: In einem sehr ungünstigen Augenblick, wohlgemerkt! Endlich haben wir die Chance auf einen Gesinnungswandel in Polen. Gleichzeitig befürwortet der deutsche Verkehrsminister die Regulierung der Oder – und das nach der Katastrophe im vergangenen Jahr. Ich denke, die deutsche Zivilgesellschaft sollte reagieren.

EuroNatur-Preisverleihung 2023

Die EuroNatur-Preisträger 2023, eingerahmt von Prof. Dr. Thomas Potthast (ganz links) und Dr. Anna-Katharina Wöbse (ganz rechts), Präsident und Vizepräsidentin von EuroNatur.

© Gerald Jarausch

Was bedeutet der EuroNatur-Preis für Ihre Arbeit und Motivation?

Justyna Choroś: Diese Auszeichnung ist für uns eine Bestärkung. Es ist so leicht zu vergessen, warum wir täglich so viele Stunden vor unseren Computern verbringen. 

Dorota Chmielowiec-Tyszko: Die Umstände, unter denen wir in den vergangenen Jahren in unserem Land für das Wohlergehen der Flüsse gekämpft haben, waren manchmal frustrierend. Umso wichtiger ist es, dass jemand von außen kommt, und sagt, dass wir in die richtige Richtung gehen. Die Oderkatastrophe hat offenbart, wie sehr wir diese internationale Zusammenarbeit brauchen – und zwar nicht nur auf dem Papier.

Piotr Nieznański: Der EuroNatur-Preis ist eine Auszeichnung für all diejenigen, die ihre Energie in diese gemeinsame Sache investieren. Wir widmen den Preis allen Menschen, die nicht passiv sind, sondern reagieren, wenn der Umwelt Schaden zugefügt wird. Eine Gesellschaft, die gegen Unrecht aufsteht, ist die Zukunft.

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