„Wenn ich Vögel beobachte, gibt mir das inneren Frieden“
In einer Welt, in der Natur- und Umweltschutz mehr denn je gefragt sind, spielen Frauen eine Schlüsselrolle. In dieser Artikelserie machen wir Frauen sichtbar, die mit Leidenschaft, Mut und Vision positive Veränderungen bewirken und wesentlich zum Schutz von Europas Natur beitragen.
Wie ist es, in Montenegro als Frau im Naturschutz zu arbeiten?
Nicht so einfach. Vor allem in den abgelegenen, ländlichen Regionen, die lange isoliert waren hat sich bis heute ein traditionelles Frauenbild gehalten. Frauen werden dort als Hausfrauen gesehen, die putzen und sich ums Essen kümmern. Ein vorsichtiger Wandel ist zu beobachten, vor allem in den städtischen Gebieten wie in Podgorica und auch im Süden des Landes, aber die Veränderung geschieht sehr langsam und wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen. Für meine Feldarbeit bin ich in ganz Montenegro unterwegs. In den abgelegenen Gebieten gerate ich manchmal in unangenehme Situationen. Zum Glück ist noch nie etwas wirklich Schlimmes passiert, aber ich fühle mich oft unwohl, vor allem wenn ich ohne Handyempfang unterwegs bin. Immer wieder tauchen Männer auf, die mich hartnäckig fragen, was ich so allein im Wald mache. Andererseits werde ich von Männern oft ignoriert, wenn ich mit meinen beiden Kollegen Bojan und Nikola im Feld bin und wir mit Einheimischen ins Gespräch kommen. Als Frau bist du unsichtbar gemäß der Tradition, „ernsthafte Dinge besprechen Männer unter sich“.
Begegnet dir dieses patriarchale Verhalten auch innerhalb deiner Organisation CZIP?
Nein, bei CZIP bewege ich mich in einem gesunden Umfeld und sogar unsere Direktorin ist eine Frau. In den vergangenen zehn Jahren hat sich in Montenegro in dieser Hinsicht einiges getan. Die meisten NGOs im Bereich Naturschutz werden von Frauen geleitet, das finde ich inspirierend.
Wenn Marija Šoškić Popović Vögel beobachtet, ist sie in ihrem Element.
Bei CZIParbeiten drei Ornithologen, zwei Männer und eine Frau – die bist du. Wie kam es zu deiner außergewöhnlichen Leidenschaft für die Vogelwelt?
Ich bin in einem kleinen Dorf im Norden Montenegros aufgewachsen, umgeben von Wald, Flüssen und Bergen. Mein Vorbild war mein Vater, der es liebte, Vogelfedern zu sammeln. Als ich etwas älter war, hat er mir seine Federsammlung geschenkt. Besonders faszinierten mich die Federn des Haselhuhns. Ich wollte unbedingt herausfinden, zu welchem Vogel sie gehören und damit hat es angefangen. Damals bekam ich meinen ersten Vogelführer geschenkt. Bald habe ich mit dem riesigen, russischen Feldstecher meines Großvaters Vögel beobachtet. Unter anderem die Auerhühner haben mich begeistert. Während der Balz sind die Männchen taub und nehmen nichts um sich herum wahr. Sie schließen ihre Augen, werfen den Kopf zurück und singen. Nach dem Abschluss meines Geographiestudiums fand ich keine Stelle in meinem Beruf und war deprimiert. Fünf Jahre lang machte ich Jobs, die ich nicht mochte, aber ich nutzte diese Gelegenheit, um mich weiterzubilden. Ich habe in Shops gearbeitet und hatte nebenbei viel Zeit, Bücher über Vogeleier und Vogelfedern zu lesen. Meine Leidenschaft wurde immer ernsthafter. Dann bekam ich ein Stellenangebot von CZIP. Sie waren über meine Vogelfotos in den Social Media auf mich aufmerksam geworden. Das war vor siebeneinhalb Jahren…
Es klingt, als wäre diese Begegnung ein großes Geschenk in deinem Leben gewesen…
Oh ja, das war es! Ich hatte die Arbeit von CZIP seit vielen Jahren verfolgt, aber nie gewagt, mich für einen Job dort zu bewerben, weil ich dachte, ich müsste dafür Biologin sein. Als sie mich kontaktiert haben, konnte ich es kaum glauben.
Damit ging ein Traum für dich in Erfüllung. Wie sieht denn dein Alltag bei CZIP heute aus?
Im Frühjahr und im Herbst sind wir viel im Feld unterwegs, machen Vogelmonitoring, beringen Vögel, aber den Rest des Jahres gibt es auch viel Büroarbeit zu erledigen. Manchmal stehe ich um 2 oder 3 Uhr morgens auf und fahre mit dem Auto zwei Stunden lang zum Vogelmonitoring nach Norden oder Süden. Das sind lange Tage. Es kommt vor, dass danach im Büro noch Arbeit auf mich wartet, denn ich bin auch für die Koordination von drei Projekten zuständig. Das kann ziemlich herausfordernd sein.
Marija Šoškić Popović, 37, ist seit sieben Jahren als Ornithologin bei der montenegrinischen EuroNatur-Partnerorganisation CZIP unter anderem für das Vogelmonitoring und die Beringung von Vögeln zuständig. Mit den erhobenen Daten trägt sie wesentlich dazu bei, wichtige Vogellebensräume in Montenegro vor der Zerstörung zu bewahren. Vögel liebt Marija seit ihrer Kindheit, ihre zweite große Leidenschaft ist die Naturfotografie.
Die Kalanderlerche nistet in Montenegro nur im Ćemovsko Polje
Wie schaffst du es, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen?
Als ich Mutter wurde, habe ich mich gefragt, wie ich es jetzt schaffen soll, meine Arbeit zu organisieren. Zum Glück unterstützt mich mein Ehemann sehr und ich muss mich nicht sorgen, ob es meiner Tochter gut geht. Aber es ist schwierig, alles unter einen Hut zu bekommen. Als ich noch kein Kind hatte, konnte ich ohne schlechtes Gewissen um 20 Uhr schlafen gehen und war morgens um 4 Uhr fit. Die Kleine geht zwar um 20 Uhr ins Bett, aber dann muss ich noch viel Hausarbeit erledigen. Immerhin fällt es leichter alles zu organisieren, weil ich weiß, wofür ich arbeite.
Welches Projekt beschäftigt dich gerade besonders?
Ich koordiniere Projekte zum Schutz von Vögeln entlang der Adria-Zugroute und kümmere mich unter anderem um das Brutvogelmonitoring in der Saline Ulcinj. Derzeit kämpfen wir für die Velika Plaza in der Nähe der Saline. Es ist unfassbar, dass unsere letzten wilden Küstenabschnitte verbaut werden sollen. Wenn die Vögel aus Afrika kommen, landen sie an der Velika Plaza bevor sie zur Saline Ulcinj weiterfliegen. Sollte an diesem Naturstrand tatsächlich ein Luxusressort entstehen, beeinträchtigt das auch die Vögel in der Saline Ulcinj, denn dazwischen liegt nur ein Kilometer. Einige Vogelarten nisten in ganz Montenegro nur dort, zum Beispiel die Zwergseeschwalbe. Sie brütet in der Saline Ulcinj und hat an der Velika Plaza ihre Nahrungsgründe. Für eine lange Liste weiterer Vogelarten verhält es sich ebenso. Es ist gut, dass wir umfangreiche Vogeldaten aus dem Gebiet haben, das ist die Grundlage, um verrückte Projekte wie dieses stoppen können. Ich habe viel über die Welle aus Investoren gelesen, die über Albanien hereinbricht. In Montenegro passiert uns gerade das gleiche.
Auch wenn derzeit wieder Wolken am Himmel aufziehen, ist die Geschichte der Saline Ulcinj trotzdem eine Geschichte, die Mut macht, oder nicht?
Ja, es ist eine inspirierende Geschichte. Der Weg, bis die Saline endlich unter Naturschutz gestellt wurde war lang und steinig. Ich stieß zum Höhepunkt dieses Kampfes zu CZIP. Ich fing im Jahr 2018 an und gut ein Jahr später wurde die Saline Schutzgebiet. Wenn ich Menschen sage, ich arbeite bei CZIP, dann reagieren sie meisten mit: „Super, du arbeitest für die Organisation, die die Saline Ulcinj gerettet hat!“ Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Der Schutz existiert vor allem auf dem Papier. Es ist gut, dass wir den Bau des Luxusressorts in der Saline Ulcinj abwenden konnten, aber richtig gut wird es erst sein, wenn die Saline wieder in Betrieb ist und es ein Management im Sinne des Naturschutzes gibt. Einige offene Flachwasserbereiche sind bereits zugewachsen, wo früher Triele und Rotflügel-Brachschwalben brüteten. Diese Arten verschwinden, weil sie keine Nistmöglichkeiten mehr haben. Aber wir sind guten Mutes, dass sich die Situation verbessern wird. Wir sind in der Saline ständig präsent.
Ich habe mir immer weibliche Vorbilder gewünscht, Frauen, die als Wissenschaftlerinnen im Feld arbeiten, die mir die Natur und die Vögel zeigen.
Marija Šoškić Popović
Ganz besonders hat es Marija der Triel angetan. Bei der Vogelberingung kommt sie den Tieren ganz nah.
Es braucht viel Power, um im Naturschutz etwas auszurichten. Was sind aus deiner Sicht weibliche Qualitäten, die hilfreich sind?
Ich habe viele Frauen um mich, die echte Kämpferinnen sind. Meine Kolleginnen zum Beispiel inspirieren mich jeden Tag. Ich denke, Frauen können mit besonderer Leidenschaft bei der Sache sein. Im Naturschutz ist das ein wichtiger Schlüssel, um Veränderung zu bewirken. Uns fällt es leichter, aus dem Herzen zu sprechen und dadurch andere mitzunehmen. Das ist entscheidend, denn die meisten Menschen haben die Natur nie wirklich erfahren. Ich hoffe, dass ich die eine oder andere junge Frau ermutigen kann, im Naturschutz aktiv zu werden. Einige unserer Volontärinnen sagen mir, dass sie meine Liebe zu meinem Job sie inspiriert. Das zu hören, macht mich glücklich. Mir selbst haben weibliche Vorbilder immer gefehlt, Frauen, die als Wissenschaftlerinnen im Feld arbeiten, die mir die Natur und die Vögel zeigen.
Wie steht es um die nächste Generation Ornithologinnen?
Leider interessieren sich nur wenige für diese Arbeit. Wir laden immer wieder Schulklassen ein, uns bei der Beringung oder dem Monitoring von Vögeln zu begleiten. Ein paar Mädchen wollen ganz genau wissen, wie das geht. Sie schicken mir Vogelbilder und fragen mich, welche Arten darauf zu sehen sind. Das zeigt mir wie wichtig es ist, in die Umweltbildung zu investieren.
Wie fühlt es sich an, einen Vogel in den Händen zu halten und ihm einen Ring anzulegen?
Sie sind so zerbrechlich. Es ist verrückt sich vorzustellen, wie viele Kilometer sie ziehen. Die Vogelberingung ist eine der besten Möglichkeiten, anderen Menschen die Natur und die Vögel näher zu bringen. Bei unseren öffentlichen Beringungsaktionen dürfen die Teilnehmenden die Vögel anfassen, erfahren etwas über das Leben der Tiere und ihre Reise. Sie erleben, wie winzig und zart die Vögel sind. Diese Begegnungen wirken intensiver als die durchs Fernglas.
Hast du eine Lieblingsvogelart?
Im Moment ist es der Triel. Ich finde ihn so lustig und faszinierend! Triele sind nachtaktiv und wenn du sie tagsüber siehst, hängen sie faul herum. Ein Individuum haben wir vor zwei Jahren mit einem GPS-Sender versehen. Im folgenden Frühjahr kam er an exakt dieselbe Stelle zurück, um dort erneut zu nisten.
Was gibt es dir, Vögel zu beobachten?
Vögel zu beobachten, gibt mir ein tiefes Empfinden von innerem Frieden und einer starken Verbindung zur Natur. Es lehrt mich, geduldig zu sein. Ich halte es für dringend notwendig, dass wir uns wieder mit unseren Wurzeln verbinden, in einer Welt, in der uns die neuen Technologien immer weiter von der Natur entfernen.
Es ist sicherlich nicht einfach, die Schönheit der Natur so intensiv zu erleben und gleichzeitig um all die Bedrohungen zu wissen. Wie und wo füllst du deine Batterien auf?
Meine größte Motivationsquelle ist es, draußen zu sein und die Natur zu spüren. Besonders Vogelstimmen machen mich glücklich. In Montenegro haben wir noch sehr viel Wildnis. Das ist ein Geschenk, das wir bewahren müssen und dazu möchte ich beitragen. Ich spüre eine große Verantwortung, diese Schönheit für meine Tochter und all die anderen Kinder zu erhalten. Sie verdienen es zu erleben, wie sich echte Natur anfühlt. Als ich das erste Mal von den Plänen für die Velika Plaza gehört habe, schoss mir durch den Kopf wie schrecklich es wäre, wenn ich meinen Kindern dieses wunderbare Gebiet nur noch auf Fotos zeigen könnte.
Welchen Stellenwert hat die internationale Unterstützung, wenn es darum geht, sich gegen naturzerstörerische Projekte zu wehren?
Einen sehr hohen. Die Unterstützung von EuroNatur in der Kampagne zur Rettung der Saline Ulcinj war entscheidend. Diese internationale Aufmerksamkeit ist auch deshalb so wertvoll, weil sie der Lokalbevölkerung zeigt: die Natur, die wir hier haben, ist etwas Besonderes!
Wenn du etwas auf eine Leinwand in Podgorica schreiben dürftest, um andere Frauen zu stärken, was wäre das?
„Tu das, was dich glücklich macht!“ und „Alles geschieht zur richtigen Zeit“. Wie gesagt, war ich fünf Jahre lang mit Jobs beschäftigt, die ich nicht mochte. Das waren fünf sehr lange Jahre. Aber ich habe diese Übergangszeit genutzt, mehr über Vögel zu lernen und das hat mich schließlich zu CZIP gebracht. Es war wie ein Traum als sich die Gelegenheit auftat, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen.
Marija, herzlichen Dank für dieses inspirierende Gespräch!