Blaues Wunder

Es war lediglich ein trauriger Zufallsfund, doch hat sich eine schöne Geschichte draus entwickelt: Das Brutvorkommen von Blauracken in der Zeta-Region in Montenegro entwickelt sich positiv - auch dank des engagierten Einsatzes unserer Partner von CZIP.

Blauracke breitet ihre Flügel aus Blauracke breitet ihre Flügel aus
© Alper Tüydes

Manchmal schreiben Zufälle die schönsten Geschichten, auch wenn sie in diesem Fall traurig beginnt. Traditionell kontrollieren unsere montenegrinischen Partner von CZIP jedes Jahr im Frühsommer in der Region Zeta nördlich des Skutari-Sees Fischernetze, die Bauern zum Schutz ihrer Ernte vor Vögeln über die Felder spannen. Die Landwirte haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Feldfrüchte eine Delikatesse für Vögel darstellen. Leider endet der Obst- und Gemüsesnack für viele der gefiederten Gourmets tödlich; sie verfangen sich in den großflächig um die Äcker und über die Weinberge gespannten Netzen. Tote Exemplare lassen einige der Bäuerinnen und Landwirte zur vermeintlichen Abschreckung für andere Vögel in den Netzen hängen; ein makaberes Vorgehen, das an aufgeknüpfte Piratinnen und andere Schurken in Mittelalter und Früher Neuzeit erinnert. Wissenschaftlich ist umstritten, ob Netze die Vögel überhaupt abschrecken.

  • Prächtig gefärbt und wärmeliebend: Die Blauracke

    Blauracke verspeist Insekt
    © Alper Tüydes

    Die etwa hähergroße Blauracke (Coracias garrulus) ist mit ihren türkisen und azurblauen Gefiederbereichen unverkennbar und einer der am prächtigsten gefärbten Vögel Europas. Die wärmeliebende Art verbringt die kalte Hälfte des Jahres in Afrika und zieht im Frühjahr nach Europa. Hier hat sie ihren Verbreitungsschwerpunkt vor allem in Spanien und weiten Teilen Ost- und Südosteuropas. In der relativen Warmphase des 19. Jahrhunderts war die Blauracke auch regelmäßiger Brutvogel in Deutschland; die Erderhitzung könnte ihr europäisches Brutareal wieder zu uns verschieben.

    Allerdings ist der Vogel aus der Familie der Rackenvögel auf ein reichhaltiges Nahrungsangebot von Großinsekten angewiesen, die er von einer Sitzwarte aus erbeutet. Große Käfer, Heuschrecken und Co. sind in unser ausgeräumten Landschaft jedoch Mangelware. Die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Zerstörung ihrer Lebensräume stellen für die Blauracke auch in den Teilen Europas eine zunehmende Bedrohung dar, wo sie noch häufig vorkommt.

Blauracke im Flug

Schillernde Schönheit: Auch im Flug macht die Blauracke eine ausgesprochen hübsche Figur.

© Alper Tüydes

Mit dem regelmäßigen Überprüfen der illegal aufgestellten Netze retten die Ornithologinnen und Vogelschützer von CZIP während der Brutzeit jeden Sommer zahlreichen Tieren das Leben. Viele Fälle bringen sie zur Anzeige, denn das Töten von Vögeln ist auch in Montenegro gesetzeswidrig, selbst wenn es nicht bewusst herbeigeführt, sondern „nur“ billigend in Kauf genommen wird. Landwirte pachten häufig Land von anderen, was es manchmal schwierig macht, den tatsächlichen Eigentümer zu ermitteln. „Es kommt oft vor, dass das Land noch auf den Namen von jemandem registriert ist, der schon vor langer Zeit verstorben ist. Solche Situationen können ein echtes Problem darstellen“, erklärt Marija Šoškić Popović. Die Ornithologin arbeitet als Projektleiterin bei CZIP und betreut gemeinsam mit ihrem Kollegen Nikola Novović das Projekt.

Ein weinendes und ein lachendes Auge

Marija war auch dabei, als unsere montenegrinischen Partner im Sommer 2019 einen besonders traurigen Totfund machten. In einem der Fischernetze hatte sich eine Blauracke verfangen und konnte sich nicht mehr befreien. „Vermutlich war der Vogel auf der Suche nach Insekten oder ist einfach so über die Felder geflogen und hat sich im Netz verheddert. So traurig uns der Anblick gestimmt hat, versetzte er uns doch auch in eine positive Spannung. Dass sich dort zu dieser Zeit eine Blauracke aufgehalten hat, ließ eigentlich nur einen Schluss zu: Die Vögel mussten irgendwo in der Nähe brüten“, erinnert sich Marija.

Der Fund war eine kleine Sensation! Niemand in Montenegro hatte geahnt, dass außerhalb der Saline Ulcinj und der Velika plaža Blauracken in Montenegro brüten würden. Es handelt sich um den ersten Brutnachweis in der Region Zeta seit über vierzig Jahren.

Montenegrinische Naturschützerin
Marija Šoškić Popović, Projektleiterin CZIP
alter Baum in karger Landschaft in Montenegro

Blaurackenhabitat in der Zeta-Region

© Justine Vansynghel
Vogelschützer montiert Blauracken-Nistkasten am Strommast

Waghalsiger Einsatz für eine erfolgreiche Blaurackenbrut: Nikola Novović installiert einen Nistkasten an einem Strommast.

© Marija Šoškić Popović

Die Kolonie soll weiterwachsen

Die unerwartete Entdeckung der Blauracken motivierte unsere Partner von CZIP, dafür zu sorgen, dass aus dem vermutlich einzelnen Brutpaar eine Kolonie werden konnte. Das kleinteilig strukturierte Habitat mit Feldern, Hecken, Weinbergen und Auwaldrelikten an einem natürlichen Flusslauf – zudem nicht weit entfernt vom Nationalpark Skutari-See – stellt einen beinahe idealen Lebensraum für die Blauracken dar. 

Lediglich an Bruthöhlen mangelt es, in denen die adretten Rackenvögel ihre Jungen großziehen können. Deshalb greifen die Vogelschützerinnen und Ornithologen von CZIP den Blauracken unter die schimmernden Flügel. In den zurückliegenden Jahren haben sie mehrere Nistkästen aufgehängt, etwa an Strommasten oder in jungen Bäumen, die noch keine geeigneten Höhlen aufweisen.

Seitdem hat sich in Sachen Blaurackennachwuchs einiges getan. „Zahlreiche Paare haben die künstlichen Nisthilfen angenommen und darin erfolgreich ihre Jungen großgezogen“, freut sich Nikola Novović, der waghalsig viele Nistkästen installiert hat. Im Sommer 2024 haben immerhin zehn Paare erfolgreich im Gebiet gebrütet; zahlreiche Jungvögel haben unsere montenegrinischen Partner beringt. Aus der ersten tragischen Blaurackensichtung in der Region Zeta hat sich eine überraschende Erfolgsgeschichte entwickelt.


Der Autor dieses Artikels hat zum ersten und bislang einzigen Mal in seinem Leben Blauracken auf dem Herbstzug in Georgien gesehen. Er war begeistert!

junge Blauracke in der Hand eines Beringers

Die spätere Ästhetik der Altvögel ist bereits beim Nachwuchs zu erahnen: Eine der jungen Blauracken bei der Beringung.

© Marija Šoškić Popovic
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