Am 16. Oktober erhielt der albanische Naturschützer Ardian Koçi auf der Bodenseeinsel Mainau den EuroNatur-Preis 2025. Ausgezeichnet haben wir ihn für seinen außerordentlichen persönlichen Einsatz für den Schutz des Nationalparks Divjaka-Karavasta. Ardian Koçi ließ sich weder politisch manipulieren noch unter Druck setzen und nahm für seine Integrität berufliche wie private Nachteile in Kauf. Heute sagt er voller Überzeugung: „Ich würde es wieder tun!“. Im Interview spricht der diesjährige Preisträger über seine tiefe Verbindung zur Natur des Nationalparks Divjaka-Karavasta und gibt Einblicke, was es in einem Land wie Albanien bedeutet, Nationalparkdirektor zu sein.
Der Nationalpark Divjaka-Karavasta
Der Nationalpark Divjaka-Karavasta gilt als eines der artenreichsten Schutzgebiete Albaniens. Unter anderem lebt dort die einzige Krauskopfpelikankolonie Albaniens. Dass sich dort derzeit noch so viel Leben tummelt, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Ardian Koçi. Von Haus aus Veterinärmediziner, folgte er 2013 einem Ruf der albanischen Regierung als Direktor des Nationalparks Divjaka-Karavasta und gab dafür seinen gut dotierten Job in Italien auf. Er hat das Gebiet in seiner Zeit als Nationalparkdirektor zu einem Vorzeige-Schutzgebiet des Landes gemacht. Mit Rückgrat und Courage stellte er sich gegen zerstörerische Investmentpläne und wurde schließlich in die Kündigung gedrängt. Heute lebt Ardian Koçi in Deutschland.
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Mit dem EuroNatur-Preis würdigen wir Ihr herausragendes Engagement für den Nationalpark Divjaka-Karavasta. Was bedeutet Ihnen der Park persönlich?
Der Park ist für mich wie eine Person, die ich sehr liebe, fast wie ein Familienmitglied. Ich dachte eigentlich, dass ich den Rest meines Lebens dort verbringen würde. Unsere gemeinsame Geschichte beginnt bereits in meiner Kindheit. Meine Mutter arbeitete dort und ich war den ganzen Tag im Wald unterwegs. Auch während der Jahre, in denen ich in Italien gelebt und gearbeitet habe, hatte ich ständig Sehnsucht nach dem Park. Als ich gefragt wurde, ob ich Nationalparkdirektor werden wolle, habe ich mit meiner Zusage dennoch gezögert, denn ich wusste, wie sehr diese Position politisch unter Druck steht. Erst als mir versichert wurde, dass ich meine Arbeit dort ungehindert machen könne, sagte ich zu. Die Situation im Nationalpark Divjaka-Karavasta war zum damaligen Zeitpunkt paradox. Es war ein reiner Papierpark und es geschahen Dinge, die in Schutzgebieten nicht passieren sollten.
Was war das zum Beispiel? Der Park war ein Brennpunkt für Vogelwilderei und bekannt als Ziel für Jagdtouristen. Gruppen von Jägern kamen aus dem Ausland, besonders aus Italien. Ein Jahr bevor ich Parkdirektor wurde, warb das italienische Fernsehen sogar für Jagdreisen in den Divjaka-Karavasta Nationalpark. Außerdem waren illegale Abholzungen ein großes Problem. Als ich mein Amt antrat, wollte ich herausfinden, wie das Management bisher ausgesehen hatte. Die Antwort meines Vorgängers schockierte mich. Er sagte: „Du kannst in dieser Position gut verdienen. Du wirst ein schönes Leben haben.“ Ich fand heraus, dass im Park gewildert wurde, vor allem Vögel, und dass der frühere Parkdirektor die Wilderei geduldet und daran verdient hatte. Das zu hören, bestärkte mich umso mehr darin, die Position anzunehmen, denn ich wollte die Natur im Park schützen.
Ihnen ist es gelungen, aus dem Papierpark einen echten Nationalpark zu machen. Wie haben Sie das geschafft?
Als erstes habe ich die Belegschaft umorganisiert und motiviert. Ich musste damals einige Arbeiter entlassen, die zum Schaden des Parks gehandelt hatten. Mir war es wichtig, Menschen aus der Lokalbevölkerung anzustellen und solche, die die Natur wirklich lieben. Am Ende waren sogar drei Jäger dabei. Sie wurden zu den engagiertesten Mitarbeitern im Kampf gegen die Wilderei in der Karavasta-Lagune. Außerdem gründete ich eine Juniorranger-Gruppe. Ganz bewusst haben wir auch Kinder aus Jägerfamilien – die Jagd hat in dieser Gegend Tradition – in die Gruppe der Juniorranger integriert, um ein Umdenken in den Familien anzustoßen. Wir haben die Kinder in das Monitoring sowie in die Betreuung von Touristinnen und Touristen eingebunden in der Hoffnung, dass sie später selbst einmal Parkranger werden. Als ich 2013 als Parkdirektor begann, wurde gerade ein Managementplan entwickelt, der im Dezember 2015 genehmigt wurde und eine gute Grundlage für alle folgenden Aktivitäten legte. Das Problem der Wilderei und der illegalen Abholzungen haben wir behoben. Es war ein langer Prozess, aber wir haben viel erreicht.
Ich habe den Naturschutz nie als eine staatliche Pflicht verstanden, sondern immer auch als eine moralische Verantwortung gegenüber der Natur.
Ardian Koçi
Ein Highlight des Parks ist die Kolonie der Krauskopfpelikane. Wie hat sich die Kolonie entwickelt und wie kam es dazu?
Sie ist stark gewachsen. Ich erinnere mich an mein erstes Monitoring in der Saison 2013. Da waren es um die 28 Paare. In meinen letzten Dienstjahren ist die Zahl auf 85 Paare angestiegen. Zuerst mussten wir sicherstellen, dass die Tiere ihre Ruhe haben, keine Jagd, keine Schüsse, die sie verschrecken. Eine weitere Störungsquelle waren die Fischer, die sich der Pelikaninsel näherten. Wir haben die Insel deshalb mit Signalbojen und Hinweisschildern umgeben. Bei Flut wurde die Insel mitsamt den Nestern überspült und die Embryonen in den Eiern starben. Vor jeder Brutsaison, im November und Dezember, haben wir auf der Insel deshalb Schilf aufgeschichtet, um die Nester zu schützen. Im Januar konnten die Pelikane dann sicher brüten.
Als 2022 die Vogelgrippe ausbrach, waren wir in großer Sorge. Um die Viruskette zu unterbrechen, haben wir die Kolonie zwei Mal pro Tag mit einer Drohne nach toten Pelikanen abgesucht und Kadaver unverzüglich entfernt. Wir waren erfolgreich. Insgesamt sind bei uns nur drei Pelikane durch die Vogelgrippe umgekommen, am Prespa-See in Griechenland waren es Tausende.
Die Pelikankolonie ist ein Besuchermagnet. Kamen mit den Pelikanen auch die Naturtouristinnen und -touristen?
Divjaka-Karavastaist für seine Krauskopfpelikane berühmt und der Pelikan das Symbol des Parks, aber wir haben Naturliebhaberinnen und Naturliebhabern auch viele weitere Möglichkeiten eröffnet. Unter anderem haben wir Wanderwege angelegt und ein Besucherzentrum errichtet. Unsere Medienkampagne für den Park wirkte. In den ersten beiden Jahren stieg die Zahl der Naturtouristinnen und -touristen enorm: Vor 2013 waren es jährlich um die 230.000, später dann über eine halbe Million. Die Zahl der internationalen Besucherinnen und Besucher stieg ebenfalls, von etwa 2.000 auf mehr als 100.000 pro Jahr. Das hatte allerdings auch Schattenseiten: Der Hunger derer, die mit der Natur Geld verdienen wollten, wuchs.
Das ist ein gutes Stichwort. Nicht alle fanden Ihr konsequentes Engagement für den Nationalpark gut. Wie haben Sie das zu spüren bekommen?
Es gab unter anderem heftige Konflikte mit der Gemeinde Divjaka, der 90 Prozent des Nationalparkterritoriums gehören. Ich wurde als ein Hindernis für die Entwicklung der Region betrachtet. Sie wollten Tourismus- und Infrastrukturprojekte ohne die Zustimmung der regionalen Naturschutzbehörde und ohne Umweltverträglichkeitsprüfungen durchwinken. Die lokalen Behörden beschuldigten mich des schlechten Managements. Sie haben einfach versucht, mich mit irgendetwas dran zu kriegen. Später gab es dann Planungen für ein riesiges Tourismusprojekt in der Kernzone des Nationalparks.
Das Tourismusprojekt des Bauunternehmens Mabetex war gigantisch. An den Stränden im Nationalpark sollte ein Komplex mit rund 18.000 Betten Kapazität entstehen. Wie sah Ihr Widerstand aus?
Es war ein schreckliches Projekt und ich fühlte mich machtlos, da die Regierung es unterstützte und vorantrieb. Deshalb habe ich zahlreiche NGOs und viele weitere Menschen aufgerufen, sich dagegen auszusprechen. Auch EuroNatur beteiligte sich damals an der Kampagne. Außerdem habe ich sämtliche Botschafterinnen und Botschaftern kontaktiert, die den Nationalpark Divjaka-Karavasta je besucht hatten, darunter der japanische, der brasilianische, der schwedische und der österreichische. In einem gemeinsamen Brief haben sie den albanischen Premierminister aufgerufen, das Projekt zu stoppen. Da die japanische Regierung die Ausarbeitung des Managementplans für den Nationalpark unterstützt hatte, besuchte der japanische Umweltminister den Park und drückte seine Besorgnis über das Projekt von Pacolli aus. Er rief die albanischen Behörden auf, sich daraus zurückzuziehen, ansonsten würde die japanische Regierung umgekehrt ihre Unterstützung beenden.
Ich kam viel in den Medien zu Wort und das geplante Touristenressort war Top-Thema. Der gesetzliche Vertreter von Pacolli [Anm. Red.: der Unternehmer Behgjet Pacolli ist der Eigentümer von Mabetex, einem im schweizerischen Lugano registrierten Bauunternehmen] rief mich daraufhin an und sagte: „Wir haben an dich gedacht. Du kannst Manager in unserem Touristenressort werden.“ Er war ein Schulfreund von mir. Meine Antwort war klar: „Euer Projekt hat in diesem Park nichts verloren.“ Pacolli gab nicht auf und verkleinerte den Zuschnitt des gigantischen Bauprojekts mehrfach, aber es war und blieb schrecklich. Die neuen Vorschläge wurden direkt vom Ministerium an die Parkverwaltung weitergeleitet. Ich habe immer dasselbe geantwortet: „Wir stehen Projekten zur wirtschaftlichen Entwicklung des Nationalparks positiv gegenüber, vorausgesetzt, sie folgen den Gesetzen, respektieren die Natur und finden ausschließlich in der Erholungszone statt.“
Ich hatte mehr Angst davor, meine Leidenschaft für den Job, als den Job selbst zu verlieren.
Ardian Koçi
Ihre Bemühungen waren erfolgreich!
Ja, aber das Projekt ist nicht vom Tisch, die Bedrohung besteht weiterhin. Vor der Kulisse des geänderten Naturschutzgesetzes in Albanien ist der Druck sehr hoch und es sind neue Tourismusprojekte in der Pipeline [Anm. Red. Im Jahr 2024 wurden weitreichende Änderungen des Gesetzes über Schutzgebiete in Albanien beschlossen. Demnach ist der Bau von Tourismusprojekten auch in den Kernzonen von Nationalparken möglich.]
Ist es eine Konsequenz Ihres Widerstandes gegen das Mabetex-Projekt, dass Sie heute nicht mehr Nationalparkdirektor sind? Ist das der Preis, den Sie für Ihre Unbestechlichkeit bezahlt haben?
Ich denke ja, aber ich bereue keine einzige Entscheidung. Ich würde alles wieder genauso machen, auch wenn es hart war!
Wie kam es dazu, dass Sie gekündigt und letztendlich sogar das Land verlassen haben?
Meine Stellung als Nationalparkdirektor zu kündigen, war eine der schmerzhaftesten Entscheidungen überhaupt. Doch mir blieb nichts anderes übrig. Sie haben mich von allen Ressourcen abgeschnitten, so dass ich meine Arbeit nicht mehr machen konnte. Die Fahrzeuge wurden nicht mehr repariert und es wurden über meinen Kopf hinweg neue Mitarbeiter aus Tirana eingestellt, die ihren Lohn bezogen, aber nicht zur Arbeit erschienen. Als mir klar wurde, dass ich so unmöglich meinen Aufgaben als Parkdirektor gerecht werden kann, beschloss ich zu gehen. Bevor ich selbst kündigte, wurde ich allerdings schon einmal gefeuert. Ich hatte ein Interview für den Sender „Voice of America“ gegeben, für das ich keine Genehmigung vom Ministerium eingeholt hatte. Es war meine Aufgabe als Nationalparkdirektor, den Park bekannt zu machen und es ging im Interview um die Ergebnisse der Winterwasservogelzählung, also nichts Verfängliches. Es gab dann eine Medienkampagne gegen meine Entlassung, die daraufhin auch zurückgenommen wurde. In der Folge haben sie mir aber, wie gesagt, alle Ressourcen entzogen und ich konnte nicht mehr arbeiten. Abgesehen davon könnte ich meine Arbeit heute auch so nicht mehr meinen Werten entsprechend fortführen. Meine Aufgabe war es, die Einhaltung des Gesetzes sicherzustellen. Das neue Naturschutzgesetz Albaniens ist nicht dafür da, die Natur zu schützen, ganz im Gegenteil. Es verstößt komplett gegen meine Überzeugung.
Was bedeutet es für Sie, den EuroNatur-Preis zu erhalten?
Als ich den Nationalpark verließ, fühlte ich mich ohnmächtig. Jetzt ist der Moment, in dem ich wieder für die Zukunft lebe. Ja, ich bin bereit für alles. Die Auszeichnung berührt mich tief. Sie gehört nicht nur mir, sondern auch all jenen Menschen, die für den Schutz der Natur arbeiten und kämpfen. Ich bin davon überzeugt, dass ich das Richtige getan habe. Und wenn ich es wieder tun müsste, würde ich es hundert Mal genauso wieder tun. Ich werde die Natur bis zum Ende verteidigen.