In einer Welt, in der Natur- und Umweltschutz mehr denn je gefragt sind, spielen Frauen eine Schlüsselrolle. In dieser Artikelserie machen wir Frauen sichtbar, die mit Leidenschaft, Mut und Vision positive Veränderungen bewirken und wesentlich zum Schutz von Europas Natur beitragen. In dieser Folge: Ira Topličanec
Wie Ira Topličanec zur international anerkannten Luchsexpertin wurde
Hast du schon mal zufällig einen Luchs in freier Wildbahn getroffen?
Bis heute hatte ich dieses Glück tatsächlich erst ein einziges Mal. Es ist fast unmöglich Luchse einfach so zu entdecken, weil sie so gut getarnt sind. Ich war damals mit meinem Kollegen Vedran im Herzen der Bergregion Gorski Kotar mit dem Auto unterwegs – wir hatten gerade eine Kamerafalle überprüft – als ein Tier die Straße querte. Zuerst dachten wir, es wäre ein Reh. Wir haben sofort angehalten und ich habe es mit meiner Taschenlampe angeleuchtet: Das Reh war ein Luchs! Er stand einfach da, sah uns an und wir ihn. Ich konnte gerade noch einen Freudenschrei unterdrücken.
Von außen betrachtet hast du einen Traumjob. Bist du die ganze Zeit draußen unterwegs und hast aufregende Wildtierbegegnungen oder wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Es gibt nur wenige Möglichkeiten in der Wildtierforschung zu arbeiten. Für mich ging tatsächlich ein Traum in Erfüllung, als ich Teil des LIFE Lynx-Teams wurde. Es gab auch Phasen, in denen wir durchgehend draußen waren, um Daten zu sammeln, doch etwa 90 Prozent des Berufsalltags findet im Büro statt. Es ist ein Muss, die Feldarbeit gut vorzubereiten und dann die gewonnenen Daten auszuwerten.
Was sind das für Daten, die du zu den Luchsen sammelst?
Unter anderem sind das Kamerafallenfotos, genetisches Material wie Kot oder Haare, aber auch Reste von Beutetieren, die wir über Telemetriedaten einem Luchs zuordnen können. Außerdem frage ich die Lokalbevölkerung nach Luchssichtungen, was besonders in neuen Gebieten wichtig ist, die ich besuche.
Über Ira Topličanec
Dr. Ira Topličanec, 33, arbeitet als international anerkannte Luchsforscherin an der Fakultät für Veterinärmedizin der Universität Zagreb. Als Teil des Projektteams „LIFE Lynx“ kam sie den Katzen ganz nah. Das EU-finanzierte und von EuroNatur unterstützte Projekt hat dazu beigetragen, die vom Aussterben bedrohte Luchspopulation im Dinarischen Gebirge zu stabilisieren und ihr zu einer größeren genetischen Vielfalt zu verhelfen. Dafür wurden Luchse aus den rumänischen und slowakischen Karpaten nach Kroatien und Slowenien umgesiedelt.
Ira untersucht gemeinsam mit ihrem Team einen betäubten Luchs.
Es klingt ein bisschen als wärst du eine Detektivin, die Teile eines Puzzles zusammenfügt…
Ja, das ist ein treffender Vergleich. Ich kann nicht behaupten, dass ich Computerarbeit liebe, aber ich finde es befriedigend, Ergebnisse zu sehen und daraus neue Erkenntnisse abzuleiten. Sie sind die Belohnung für die anstrengende Arbeit im Feld.
Was macht die Feldarbeit denn so anstrengend?
Es sind oft lange Tage, an denen du früh am Morgen aufbrichst und spät in der Nacht zurückkommst, verbunden mit Autofahrten auf schlechten Straßen. Manchmal musst du Hindernisse aus dem Weg räumen, vielleicht Äste absägen, um weiterfahren zu können. Du verbringst viel Zeit im Wald, weitab von allem. Wenn du über Nacht bleibst, schläfst du im Auto. Es ist keine harte physische Arbeit in dem Sinne, aber sie kostet dich Kraft. Ich selbst liebe es, den ganzen Tag draußen zu verbringen und genieße es auch, allein unterwegs zu sein. Als ich mal mit dem Auto mitten im Wald liegen geblieben bin, war das zwar eine stressige Situation, aber ich habe es geschafft, mich selbst daraus zu befreien. Da springen die Überlebensinstinkte an (lacht).
In das Projekt „LIFE Lynx“ waren viele Frauen involviert – und zwar in alle Aufgaben, inklusive der Feldarbeit, gleichberechtigt mit den männlichen Kollegen.
Das klingt nach gelebter Emanzipation!
Wir können es Emanzipation nennen oder auch eine Art Trend. In der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Zagreb ist ein Umbruch zu beobachten. Vor etwa 20 Jahren noch galt der Bereich Veterinärmedizin als Männerdomäne. Heute schreiben sich immer mehr junge Frauen für dieses Studium ein, 90 Prozent der Studierenden sind weiblich.
Du hast zwar Veterinärmedizin studiert, hattest aber nicht die Absicht, Tierärztin im klassischen Sinne zu werden, richtig? Was war dein Traum?
Ich liebe Pferde und konnte mir vorstellen, Pferdetierärztin zu werden. Doch während des Studiums realisierte ich, dass sie in der Abteilung für Veterinärmedizin mit großen Beutegreifern arbeiten. In Kroatien wird die Forschung rund um Wölfe, Bären und Luchse vorwiegend von Teams der Veterinärmedizinischen Fakultät durchgeführt, das ist eine Besonderheit. Als mir das klar wurde, habe ich meinen Fokus komplett darauf gelenkt, Wissen und Erfahrung in diesem Bereich aufzubauen. Ich wollte unbedingt in der Wildtierforschung arbeiten.
Was dir geglückt ist! Gab es Hindernisse auf deinem Weg?
Meine erste Position als Assistentin im Projekt „LIFE Lynx“ beinhaltete einen hohen Anteil Feld- und Verwaltungsarbeit. Meine Vorgesetzten haben mich dann ermutigt, tiefer in die Forschung einzusteigen und ich beschloss, parallel zum Job meine Doktorarbeit zu schreiben. Es war sehr fordernd, so viele verschiedene Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen. Dazu kam, dass ich sechs Jahre lang Veterinärmedizin studiert hatte, meine Doktorarbeit aber im Bereich Biologie schrieb. Das heißt, ich musste viel Grundlagenwissen nachholen. Oft hatte ich kein Wochenende und habe auch im Urlaub gearbeitet.
Grundsätzlich müssen wir Frauen härter arbeiten als Männer, um Respekt zu gewinnen und als kompetent wahrgenommen zu werden.
Es hat sicher ein hohes Maß an innerer Stärke von dir verlangt, das durchzuziehen. Hattest du Menschen, die dich ermutigt haben?
Meine Mentorin Magda Sindičić war ein großes Vorbild für mich. Sie ist eine sehr intelligente Frau, hat eine Menge Wissen und Erfahrung in der Forschung und hat das LIFE Lynx-Projektteam hervorragend geleitet. Von Tomislav Gomerčić habe ich mich ebenfalls sehr unterstützt gefühlt. In Kroatien haben wir insgesamt drei Luchse gefangen, untersucht und mit Senderhalsbändern versehen, um Informationen über ihren Gesundheitszustand zu erhalten und darüber, wie sie sich in ihrem Lebensraum bewegen. Unter anderem können wir so Bedrohungen wie menschliche Störungen oder die Zerschneidung der Luchslebensräume durch Straßen einschätzen. Mit unseren Daten unterstützen wir die Planung von Schutzmaßnahmen in der gesamten Dinaridenregion. Ich konnte Tomislav immer um Rat fragen, aber er hat mir den Raum gegeben, diese Aktionen selbstständig zu leiten. Das war eine wertvolle und ermutigende Erfahrung, für die ich dankbar bin.
Kannst du das Gefühl beschreiben, als du das Blasrohr angesetzt hast, um deinen ersten Luchs zu betäuben und ihn anschließend zu untersuchen?
Es war eine Mischung aus Aufregung, aber auch Respekt vor der Verantwortung. Du willst das Tier nicht verletzen und du willst alles richtig machen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt wenig Vorerfahrung und mir war bewusst, welche Fehler man machen kann. Doch alles lief glatt. Durch die anschließende Untersuchung so tiefe Einblicke in das Leben eines Luchses bekommen zu dürfen, war einer dieser magischen Momente meines Berufs.
Die wenigsten Menschen kommen einem Luchs so nahe wie du es erlebt hast. Wie fühlt sich Luchsfell eigentlich an?
Weich! Und es ist angenehm, es zu berühren. Anders als du es von einem Wildtier erwarten würdest, haben Luchse keinen strengen Geruch. Es ist eine so interessante Erfahrung, mit einem Wildtier in Interaktion zu treten – es zu untersuchen, sein Maul zu öffnen, seine Zähne, Krallen und Pfoten zu berühren. Mir ist aber auch klar geworden, was für einen starken Eingriff das bedeutet. Dessen sollte man sich immer bewusst sein! Es darf nie darum gehen, dass es „cool“ ist, einem Wildtier so nahe zu kommen. Du hast eine große Verantwortung, die gewonnenen Daten anschließend sinnvoll zu nutzen.
Treffen mit lokalen Beteiligten, Jägern und Naturpark-Rangern im Rahmen von LIFE Lynx.
Würdest du sagen, dass die gewonnen Erkenntnisse die Eingriffe gerechtfertigt haben?
Ja, definitiv. Wir haben viel über die Populationsgröße und die Verbreitung der Luchse herausgefunden, was wiederum die Grundlage für den nationalen Luchsmanagementplan und gezielte Schutzmaßnahmen ist. Wir haben auch Neues über das Verhalten der Luchse gelernt. Ganz wichtig, die Daten haben uns außerdem gezeigt, dass wir die Luchspopulation im Dinarischen Gebirge mit unseren Maßnahmen erfolgreich stabilisieren konnten. Das Projekt LIFE Lynx hat nicht umsonst zwei Auszeichnungen gewonnen, eine davon durch die Europäische Kommission.
Das Projekt „LIFE Lynx“ ist im Jahr 2024 ausgelaufen. Du hast betont, wie wichtig es ist, dass die Erkenntnisse gut genutzt werden. Wie geht es nun weiter?
Jetzt ist es entscheidend, dass das kroatische Ministerium endlich Verantwortung übernimmt. Alle Aktivitäten, die wir im Projekt „LIFE Lynx“ durchgeführt haben, sind eigentlich Aufgabe der Regierung, denn der Luchs ist eine streng geschützte Art. Wir haben einen Aktionsplan für das Management der Luchspopulation erarbeitet, doch der wird bis dato noch immer nicht umgesetzt. Unter anderem muss das Monitoring kontinuierlich weitergeführt werden. Noch können wir sämtliche Individuen an ihren Fellmustern erkennen, doch das wird nicht unbegrenzt möglich sein, weil sich die Population weiterentwickelt. Je länger die zeitliche Lücke, desto aufwändiger und teurer wird es, die Forschung wieder aufzunehmen. Wir versuchen, diese Zeit zu überbrücken, aber ohne ein offizielles nationales Monitoring, das gegenfinanziert wird, ist das schwer. Besonders nach einer so großen Anstrengung, wie wir sie unternommen haben, ist das extrem wichtig. Wir haben neue Individuen hierhergebracht und müssen dringend wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Wir klopfen deshalb regelmäßig an die Türen des Ministeriums und machen Druck.
Ich erinnere mich noch genau an die Bilder des slowakischen Luchskuders Lubomir, den ihr 2022 im Velebit Nationalpark in Kroatien freigelassen habt – ein wunderschönes Tier. Lubo hatte einen langen Weg hinter sich. Er wurde aus der Slowakei nach Kroatien umgesiedelt. Wie hat sich der Moment angefühlt, als ihr die Tür der Transportbox geöffnet habt?
Es war ein Moment großer Erleichterung. Du hast es mit einem Wildtier zu tun, das einen Transport hinter sich hat. Da ist immer die Sorge, ob mit ihm alles in Ordnung ist. Lubos Ankunft hatte sich verzögert, weil es Probleme an der Grenze gab. Die Stunden des Wartens waren für uns alle extrem stressgeladen. Als er dann wohlbehalten ankam, waren wir überglücklich. Luchse sind elegante Tiere und haben eine kraftvolle Ausstrahlung. Als er in die Freiheit davonlief, war das ein Moment purer Freude und hat für die harte Arbeit entschädigt, die dem vorausging.
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Die Arbeit mit Großen Beutegreifern wie dem Luchs bedeutet auch Arbeit mit Menschen, richtig?
Absolut. Es braucht viel Kommunikation mit den Medien, mit der Lokalbevölkerung, mit Jägern und Förstern, die jeden Tag im Wald unterwegs sind. Wenn du im Feld präsent bist und Daten sammelst, dann ist es wichtig, die Ergebnisse anschließend zu teilen. Einige Menschen, die zuerst nicht kooperieren wollten, änderten ihre Meinung, sobald sie sahen, dass bei der Arbeit etwas herauskommt.
Sind dir in der Kommunikation mit Jägern und Förstern jemals Vorurteile begegnet, weil du eine junge Frau bist?
Ich musste oft Überzeugungsarbeit leisten, bis sie mich ernst genommen und mir zugetraut haben, dass ich im Wald genauso gut zurechtkomme wie ein Mann. Grundsätzlich müssen wir Frauen härter arbeiten als Männer, um Respekt zu gewinnen und als kompetent wahrgenommen zu werden. Manchmal braucht das Zeit, aber irgendwann wirst du belohnt.
Was würdest du auf eine Leinwand in Zagreb schreiben, um andere Frauen zu motivieren?
Hart zu arbeiten, zahlt sich aus. Finde die Dinge, die dich durch frustrierende Phasen tragen und sei aufmerksam. Wenn sich eine Tür schließt, werden sich andere Türen öffnen. Zögere nicht, etwas Neues zu versuchen, auch wenn es der schwierigere Weg ist. Manchmal stellt sich heraus, dass etwas anderes viel besser zu dir passt als das, was du dir ursprünglich vorgestellt hattest.
Ich hatte dich gebeten, etwas zum Interview mitzubringen, das dir etwas bedeutet. Was hast du uns mitgebracht?
Meine Kletterausrüstung. Das Klettern verbindet mich stark mit der Natur und hilft mir, ich weiß es klingt paradox (lacht) - mich zu erden. Es erinnert mich daran, fokussiert und demütig zu bleiben.
Ira, herzlichen Dank für dieses inspirierende Gespräch