++ EU-Beitrittskandidaten des westlichen Balkans verfehlen weiterhin die EU-Vorgaben zum Schutz der Natur und der biologischen Vielfalt ++ Erweiterungspaket der Europäischen Kommission stellt gravierende Mängel fest, insbesondere bei Schutzgebieten, Artenschutz und Umweltverträglichkeitsprüfungen ++
Auf der Baustelle des Vlora-Flughafens wird Tag und Nacht gearbeitet.
© Annette Spangenberg/ EuroNatur
Natürlicher Flusslauf im Mavrovo-Nationalpark: die Radika
© Goran SafarekBrüssel, Radolfzell. Die Europäische Union ist seit 20 Jahren ein verheißenes Land für den Westbalkan und die EU-Kommission drängt darauf, ihr Versprechen auf eine Mitgliedschaft einzulösen, insbesondere gegenüber Albanien und Montenegro. Diese neuen Entwicklungen sind zu begrüßen, aber es sind konkrete Maßnahmen seitens der Westbalkanstaaten erforderlich, um die Lücken in Bezug auf EU-Recht zu schließen. Die Spitzenkandidaten der EU-Kommission liegen nämlich erheblich zurück: Albanien und Montenegro sind Beispiele für die Kluft zwischen der Rhetorik der EU und der Realität.
Beispielsweise werden im Erweiterungspaket die jüngsten Änderungen des Gesetzes über Schutzgebiete in Albanien und der rasche Bau des Flughafens Vlora im Landschaftsschutzgebiet Vjosa-Narta ausdrücklich als Rückschläge genannt. Der EU-Bericht kommt zu dem Schluss, dass dies zu einer Verschlechterung des Naturschutzes in Albanien geführt hat und dringt auf die vollständige Angleichung und Durchsetzung der Vogelschutz- und Habitat-Richtlinien. Der Bericht betont die Notwendigkeit einer vollständigen Umsetzung der Vorschriften für Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) und strategische Umweltprüfungen (SUP). Damit soll sichergestellt werden, dass alle Infrastrukturinvestitionen den naturschutzrechtlichen Verpflichtungen der EU und internationalen Verpflichtungen entsprechen und eine sinnvolle Beteiligung der Öffentlichkeit wiederhergestellt wird. Der Bericht der Kommission versäumt es jedoch, diese Erkenntnisse mit den Verpflichtungen im Rahmen der Benchmarks für Kapitel 27 als Teil des gemeinsamen Standpunkts der EU zu Cluster 4: Grüne Agenda und nachhaltige Konnektivität in Verbindung zu setzen.
„Ausstehend“: ein wichtiges Stichwort für Montenegro in dem Bericht. Einige maßgebliche Gesetze und deren tatsächliche Umsetzung stehen noch aus. Dies betrifft insbesondere das Naturschutzgesetz und die nationale Strategie für biologische Vielfalt. Aufgrund von Unstimmigkeiten hinsichtlich der Zuständigkeiten zwischen den zentralen und lokalen Behörden gibt es für die Saline Ulcinj, eines der wichtigsten Gebiete für biologische Vielfalt in der Region, nach wie vor keinen Managementplan.
Montenegro präsentiert sich als „ökologischer Staat“ und hat Fortschritte bei der Kartierung seiner biologischen Vielfalt erzielt, doch beim Schutz der Natur vor Ort weist das Land erhebliche Defizite auf. Derzeit sind weniger als 14 Prozent der Landfläche Montenegros und weniger als 2 Prozent seiner Meeresgewässer Schutzgebiete, was weit unter dem Kunming-Montreal-Ziel von 30 Prozent liegt. Ein zentrales Problem ist das Nichtumsetzen wissenschaftlicher Bewertungen in gesetzliche Schutzmaßnahmen. Obwohl über 70 Prozent des Territoriums Montenegros für das ökologische Netzwerk Natura 2000 ausgewiesen wurden, hat die Regierung diese Gebiete nicht offiziell entsprechend den Anforderungen des Emerald Network (Bern-Konvention) ausgewiesen. Aktuell geschieht eher das Gegenteil, denn der neue nationale Raumordnungsplan ignoriert die potentiellen neuen Emeraldgebiete weitgehend. Dadurch bleiben viele ökologisch wichtige Gebiete ohne wirksamen Schutz und sind zunehmendem Entwicklungsdruck ausgesetzt.
Gravierende Mängel in den westlichen Balkanstaaten
In der gesamten Region ist die Lage ähnlich: In Bosnien-Herzegowina gibt es nach wie vor kein Natura 2000-Netzwerk und kein System zur Überwachung der biologischen Vielfalt. Im Kosovo sind die Verwaltungskapazitäten im Umweltbereich immer noch „äußerst gering“ und die Schutzgebiete werden nicht angemessen verwaltet. Die Kommission fordert den Kosovo ausdrücklich auf, „geeignete Maßnahmen zur tatsächlichen Verhinderung der Verschmutzung von Schutzgebieten und zur Verwaltung von Schutzgebieten“ zu ergreifen.
Serbiens umweltrechtlicher Rahmen entspricht auf dem Papier relativ gut dem der EU, beispielsweise wurden Ende 2024 aktualisierte Gesetze zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und zur strategischen Umweltprüfung (SUP) verabschiedet. Die Umsetzung hinkt jedoch hinterher. Die Kommission betont, dass diese Gesetze nun schnell und konsequent auf alle Projekte angewendet werden müssen. In der Praxis hat Serbien manchmal UVP-Verfahren komplett umgangen, indem es vorläufige Genehmigungen erteilt oder alte Studien verwendet hat, um Projekte zu beschleunigen. Dabei wurden gründliche Überprüfungen und öffentliche Beteiligung umgangen. Die Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltpolitischen Entscheidungen ist nach wie vor unzureichend. Im Jahr 2025 waren keine Verbesserungen in Bezug auf Transparenz oder Konsultationen zu verzeichnen. Aus der Zivilgesellschaft wird berichtet, dass die Behörden Informationen über die Umweltauswirkungen laufender Projekte oft nicht proaktiv offenlegen.
Die EU-Kommission weist darauf hin, dass in Nordmazedonien das nationale Informationssystem für Biodiversität noch immer nicht funktionsfähig ist und die Ermittlung potenzieller Natura-2000-Gebiete mit institutionellen Schwierigkeiten verbunden ist. Der Prozess der Ausweisung von Schutzgebieten von hoher Bedeutung wie dem Ohridsee, Studenchisko Blato, dem Matka-Canyon und der erneuten Ausweisung des Mavrovo-Nationalparks ist noch nicht abgeschlossen und könnte zu einer weiteren Verschlechterung der Biodiversität und der ökologischen Bedeutung dieser Gebiete führen.
Insgesamt ist die Einhaltung der Umweltvorschriften eine Schwachstelle: Allen Balkan-Kandidaten wurde mitgeteilt, dass der Fortschritt bei den Beitrittsverhandlungen von nachweisbaren Ergebnissen im Naturschutz und bei der Bekämpfung von Umweltkriminalität abhängt.
Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer von EuroNatur, erklärt: „Regierungen und EU-Institutionen müssen diese Ergebnisse als Warnsignale betrachten und nicht als reine Formalitäten. In Albanien sollten die Gesetzgeber die schädlichen Änderungen des Gesetzes über Schutzgebiete aus dem Jahr 2024 aufheben und die Ausnahmeregelungen für Bewässerung, Ferienanlagen und Infrastruktur streichen, denn diese untergraben den Wert und die Integrität der Schutzgebiete. Großprojekte wie der Flughafen Vlora müssen ausgesetzt und mit einer ordnungsgemäßen UVP/SUP und einer echten öffentlichen Überprüfung neu bewertet werden.“
Viktor Berishaj, Senior Policy Officer bei EuroNatur, fasst zusammen: „Alle Länder des westlichen Balkans müssen die Vogelschutz- und Habitat-Richtlinien vollständig umsetzen, ihre Emerald-/Natura-Netzwerke vervollständigen und die Durchsetzung der Naturschutzgesetze verstärken. Der Zugang zu Informationen und Gerichten gemäß der Aarhus-Konvention muss gewährleistet sein, damit die Bürger Entscheidungen überwachen und illegale Projekte anfechten können. Vor allem sollte die Europäische Union Kapitel 27 als nicht verhandelbares Beitrittskriterium aufrechterhalten: Ein Land, das seine Flüsse, Wälder und Wildtiere nicht schützt, kann nicht glaubhaft behaupten, dass es bereit ist, der EU beizutreten.“
Hintergrundinformation: Der westliche Balkan ist eine Region, die aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien besteht. Diese Länder streben ebenso wie die Ukraine, Georgien und Moldawien eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an. Aus diesem Grund werden sie auch als Erweiterungsländer bezeichnet.
Rückfragen: Christian Stielow, Tel: 07732-927215; E-Mail: christian.stielow(at)euronatur.org